Süddeutsche Zeitung, 20.08.2005
Die Mauer in Stoibers Kopf
Kommentar von Bernd Oswald
Die Abneigung gegen die neuen Bundesländer sitzt bei Edmund Stoiber tief: Im Osten macht er seine Wahlniederlage 2002 fest und gefährdet so die Wahlchancen von Angela Merkel.
Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche hat die Union die ostdeutsche Bevölkerung vor den Kopf gestoßen. Erst machte Brandenburgs Innenminister Schönbohm die „erzwungene Proletarisierung“ zu DDR-Zeiten für Verwahrlosung und Gewalt in Ostdeutschland und mithin für den neunfachen Babymord in Brieskow-Finkenheerd verantwortlich. Nun erhebt CSU-Chef Stoiber seine Bayern über den Rest der Republik, insbesondere über die Ostdeutschen. Für Stoiber ist Bayern das Symbol der Stärke, die neuen Bundesländer sieht er als Zeichen der Schwäche. Dass er davon spricht, diese Schwächeren ein Stück mitzuziehen, ihnen also zu helfen, geht in der allgemeinen Empörung unter.
Was reitet den wichtigsten Ministerpräsidenten der Union, dass er einen Teil der Wählerschaft so grob diskrediert, zumal in einer Zeit, in der die Union an Wählergunst verliert?
Zum einen ist es seine Ohnmacht: Der Unions-Kanzlerkandidat 2005 heißt Angela Merkel und nicht Edmund Stoiber. Die CDU-Chefin gibt den Ton im Wahlkampf an, die Augen der Öffentlichkeit richten sich in erster Linie auf sie, nicht auf Stoiber. Hart ankommen wird ihn auch, dass in wenigen Tagen Angela Merkel von Plakaten lächeln wird, die das Logo seiner CSU tragen. Das ist nur schwer zu verwinden für den obersten Bayern. Wenn dann aber seine Nachfolgerin ihre Arbeit auch noch schlecht macht, und sich Patzer leistet, die mehr oder weniger direkt zu Einbrüchen in den Umfragen führen, dann platzt dem machtversessenen CSU-Chef der Kragen.
Der zweite Grund liegt noch tiefer. Für Stoiber ist der deutsche Osten ein unsympathischer Fremdkörper. Als Kanzlerkandidat hat er die Bundestagswahl 2002 im Osten verloren. Stoiber weiß das. Er hat es vergangenen Donnerstag selbst wiederholt: „Ich akzeptiere nicht, dass erneut der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Es darf nicht sein, dass die Frustrierten über das Schicksal Deutschlands bestimmen.“
Eine bittere persönliche Abrechnung und ein Beleg dafür, dass Stoiber den Osten als Klotz am Bein empfindet. Man kann gar den Eindruck gewinnen, die CSU wolle die Einheit wieder rückgängig machen, um nichts vom eigenen Wohlstand abgeben zu müssen. Markus Söder, inzwischen Generalsekretär der Christsozialen, hat vor Jahren als Chef der bayerischen JU gesagt: Wenn die Ostdeutschen weiter so viel PDS wählten, müsse man ihnen den Solidaritätszuschlag streichen. Stoiber schließlich war die treibende Kraft hinter der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs: Seitdem muss Bayern deutlich weniger Geld abführen, das noch immer zum allergrößten Teil in die neuen Länder fließt.
In den Köpfen der CSU-Granden Stoiber und Söder steht die Mauer also noch.
Diese offen ausgesprochene Ablehnung der Menschen in den neuen Bundesländer wird um so pikanter, als mit Angela Merkel eine Frau aus Mecklenburg-Vorpommern für die Union ins Kanzleramt einziehen soll. Für Stoiber ist das vermutlich die schlechteste aller denkbaren Kanzlerkandidaten-Besetzungen. Für die Linkspartei dagegen sind die Stoiberschen Schmähungen ein Wasserfall auf die Wahlkampfmühlen. Sie wird im Osten nicht nur der SPD Stimmen abjagen, sondern auch der Union. CDU und CSU bräuchten sich nicht wundern, wenn die Regierungskonstellation Schwarz-Gelb auch bei der Wahl 2005 im Osten verspielt wird.