Süddeutsche Zeitung, 22.08.2005
Stroh zu Gold - Wie viele Fehler addieren sich zu einer Dummheit?
Kommentar von Heribert Prantl über die Schwierigkeiten des Emotions-Managements im Bundestagswahlkampf.
Der Thron im Audienzsaal der Herrscher von Byzanz war von zwei mechanischen Löwen flankiert, die brüllen und mit den Schwänzen auf den Boden schlagen konnten. Offenbar ist dieses antike Arrangement auf verschlungenen Wegen nach München gelangt; es wird dort von der CSU gern genutzt.
Edmund Stoiber hat, zumal im Wahlkampf 2005, Freude daran, die Löwen zu unpassenden Gelegenheiten mit dem Schwanz schlagen zu lassen – wohl auch aus Ingrimm über die ihm entgangene Chance, deutscher Kanzler zu werden. Aber der erwünschte Effekt des alten Rituals stellt sich nicht mehr ein:
Der Respekt vor Stoiber wandelt sich in Verdruss und Ärger über ihn.
Außerhalb Bayerns verfällt, wegen der eklatanten Fehler im politischen Emotions-Management, Stoibers Autorität; diese wird sich mittels „Print-Duell“ mit Oskar Lafontaine, als Vorprogramm zum Schröder/Merkelschen Fernsehduell, kaum festigen lassen.
» Die Produktion von Emotion ist im vereinigten Deutschland...schwieriger geworden als früher «
Die Produktion von Emotion ist im vereinigten Deutschland, multipler Nebenwirkungen wegen, schwieriger geworden als früher. Das gilt auch für die klassischen Themen. Wenn die Union, wie von Roland Koch gefordert, daran gehen sollte, eine Anti-Türkei-Initiative zu starten und damit die alten Themen „Asyl“ und „Ausländer“ zu substituieren, wird ihr das nicht unbedingt gut bekommen: Die Anti-Position ist in der Union umstritten, die schon vielfach vorhandenen Dissonanzen würden also verstärkt.
Im Übrigen merken die Wähler womöglich die simple Absicht und sind verstimmt. Es gibt zwar immer mehr wechselbereite Wähler, die sich kurzfristig entscheiden, so dass der Wahlakt Züge eines spontanen Geschmacksurteils annimmt. Aber man muss den Geschmack auch treffen.
Der Weg des Wählers zur Urne gleicht heute dem des Kunden durch den Supermarkt: Kurz vor der Kasse massieren sich die Angebote, die zum spontanen Zugreifen verführen sollen. Mit ihrem Kompetenzteam hat Angela Merkel sich das zu Nutze zu machen versucht.
Aber Ladenhüter (eine Gerda Hasselfeldt zum Beispiel) werden nicht zu Verführern, nur weil man sie auf dem Weg zur Kasse aufbaut. Überraschend ist in Merkels Aufgebot nur der professorale Feuerkopf Paul Kirchhof. Das Aufsehen, das seine radikalen Steuervorschläge gemacht haben, wird aber übertroffen durch das Aufsehen, das ihr Widerruf durch die Kanzlerkandidatin macht. Kirchhof steht nun da wie einer, der Falschgeld verteilt.
Solche Fehler sind Schröders kleine Chance. Mit souveräner Selbstsicherheit und unverschämt guter Laune versucht er, die fehlenden Erfolge seiner Reformpolitik zu ersetzen. Der schlechten Stimmung setzt er nichts als die eigene Emphase entgegen. Er tritt auf wie einer, der Stroh zu Gold spinnen kann.
Merkel hat diese Selbstsicherheit noch nicht; dafür aber hat sie Siegesgewissheit und ihre Partei zwölf Prozent Vorsprung. Ein solcher Vorsprung kann nur durch Dummheit verspielt werden kann. Wie viele Fehler addieren sich zu einer Dummheit?