Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 14.09.2005

Der große Bluff vom großen Verrat

Schnüffel-Attacke. Die bisherigen Argumente der Justiz für das Ausspähen von Journalisten bröckeln.
 
Offiziell lautet die Geschichte bislang so: Fahnder der Anti-Korruptionseinheit „Ines“ führen am 24. Mai völlig überraschend eine Hausdurchsuchung bei Sachsens Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) durch. In ihrem Windschatten befindet sich ein „Morgenpost“-Reporter, der vor der spektakulären Aktion einen Tipp erhalten haben soll. Am nächsten Tag erfahren die Leser seines Blattes dann, dass gegen Schommer wegen Untreue im Zusammenhang mit einem Beratervertrag mit dem Dualen System Deutschland ermittelt wird.

Und offiziell geht die Geschichte wie folgt weiter: Justizminister Geert Mackenroth (CDU), hellauf empört darüber, dass die Presse informiert war, greift zu drastischen Mitteln. Um dem Tippgeber auf die Spur zu kommen, billigt er, dass nicht nur die Telefondaten eines verdächtigen Ines-Staatsanwaltes ausgespäht werden, sondern auch die des Reporters – über Wochen. Den bisher in Sachsen noch nie dagewesenen Eingriff in die Schutzrechte der Presse begründet der Minister seitdem beharrlich mit der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe. Die Korruptionsbekämpfung stünde generell in Frage, wenn Verdächtige vorab von Ermittlungen erfahren könnten. Die Schnüffel-Attacke sei berechtigt, denn der kleine Tipp wäre hier nichts anderes als schwerer Geheimnisverrat.

Fünf Monate Vorwarnzeit

Inzwischen sind jedoch Fakten aufgetaucht, die ein anderes Licht auf die Vorgänge und auf die Argumentation des Justizministers werfen. Gut möglich, dass der Öffentlichkeit seit Wochen eine Schmierenkomödie vorgespielt wird. Die neueste Version besagt, dass Schommer, der bis heute nicht zu den Vorwürfen vernommen wurde, bereits im Januar (!) davon erfahren haben soll, dass ihm die Korruptionsfahnder auf den Fersen sind – fünf Monate vor der Razzia in seinem Haus. Informiert hatte ihn damals ein Hamburger Journalist, der nun angibt, fast zeitgleich bei „Ines“ sowie im Justizministerium wegen des Ermittlungsverfahrens gegen Schommer nachgefragt zu haben.

Stimmen diese Angaben, kommt Sachsens Justiz in gewaltige Erklärungsnot: Die Ines-Fahnder müssen sich fragen lassen, welchen Sinn eine Hausdurchsuchung im Mai macht, wenn der Verdächtige seit Januar von den Ermittlungen gegen ihn weiß. Noch härter träfe es aber den Justizminister. Mackenroth müsste begründen, warum er von einem besonders schweren Fall spricht, obwohl der Beschuldigte jederzeit mit einer Razzia rechnen musste, nur nicht deren genauen Termin kannte. Der Vorwurf läge auf der Hand, dass der Minister die ganze Sache zu seinen Gunsten aufgebauscht hat und die Schnüffel-Aktion gegen Journalistentelefone ganz anderen Zwecken diente.

Auf entsprechende Anfragen der SZ hat der Justizminister seit sechs Tagen nicht reagiert. Dafür erinnern sich die Ines-Fahnder umso besser: Ja, es habe einen entsprechenden Anruf aus Hamburg wegen der Schommer-Ermittlungen gegeben – exakt am 19. Januar 2005.
Von Gunnar Saft

Karl Nolle im Webseitentest
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