Frankfurter Rundschau, 12.09.2005
Große Koalition macht Sachsen sauer
Vor einem Jahr haben CDU und SPD ihr Zweckbündnis geschlossen, heute herrscht Gejammer auf beiden Seiten
Nach einem Jahr Erfahrung mit der Großen Koalition in Sachsen ziehen CDU und SPD eine negative Bilanz. Katzenjammer herrscht auf beiden Seiten.
Dresden · Vor ein paar Tagen bekam Kanzler Schröder einen gut gemeinten Rat aus Sachsen. Warum in Deutschland keine große Koalition mit der CDU eingehen? In Sachsen sei das zwar auch nicht der Wunschtraum von CDU und SPD gewesen, meinte Thomas Jurk, Wirtschaftsminister und SPD-Landesvorsitzender, in einem Interview. Aber, es "könnte eine Option in Berlin sein".
Über die näheren Begleitumstände der sächsischen CDU/SPD-Koalition ließ er sich in dem Interview nicht aus. Was für eine Quälerei die Regierungs- und Parlamentsarbeit, wie hoch der Frustrationspegel bei einigen Akteuren mittlerweile gestiegen ist, das verschwieg Jurk höflicherweise.
Es war die Koalition der Verlierer, die sich nach der Landtagswahl im September 2004 aus den Scherben des Wählervotums bildete. Die CDU, seit 1990 unter "König" Kurt Biedenkopf verwöhnt vom Alleinregieren, war mit Ministerpräsident Georg Milbradt im Hartz IV-Proteststurm untergegangen. Die Partei büßte 15,8 Prozent ein und landete bei 41 Prozent. Mit Landtagsheimkehrer FDP sollte es nicht reichen, mit den Bündnisgrünen wollte und konnte man nicht, mit der NPD schon gar nicht. Blieb die SPD, eine schwächliche Landespartei, die nach unendlichen internen Querelen mit ihrem wackeren Spitzenkandidaten Thomas Jurk zwar das schlechteste SPD-Ergebnis bei einer Landtagswahl überhaupt einfuhr. Kurioserweise wurde sie dafür aber mit der Regierungsbeteiligung und zwei Ministerposten belohnt, was Cornelius Weiss, der SPD-Fraktionschef, einmal als "eine Form höherer Gerechtigkeit" bezeichnete.
Fragt man ein Jahr nach der Wahl bei CDU und SPD nach, hört man wegen des aktuellen Wahlkampfs nichts oder Sätze wie: "Die Koalition steht." Ein Ausnahme ist
Karl Nolle. Der SPD-Abgeordnete aus Dresden war kürzlich explodiert, nachdem seine Partei zuerst großen Krach schlug, weil Ermittler einen Journalisten ausgespäht hatten, und dann brav auf CDU-Linie einschwenkte: " Nachdem bisher das Copyright für Regierungsskandale in Sachsen ausschließlich bei der CDU gelegen hat, sind wir Sozialdemokraten nun zu Miteigentümern eines Skandals um einen der schwersten Verstöße gegen die Pressefreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit exekutiven Handelns geworden." Jeder nehme eben "das Parfüm seiner Umgebung" an, ätzte Nolle.
Viel Ärger über die "Vernunftehe"
Hinter vorgehaltener Hand wird auf beiden Seiten mächtig "abgekotzt" über die "Vernunftehe". Zwar gab es im verflossenen Jahr keine schwere Krise, die das ungeliebte und für beide alternativlose Bündnis an den Rand des Scheiterns brachte. Doch man hat die Nase gestrichen voll: "Lieber heute als morgen", sagt ein CDU-Mann, würde er Schluss machen. "Was bringt die Koalition überhaupt für uns?", fragt ein SPD-Mann. "Außer zwei Ministerposten?"
Gejammer auf beiden Seiten. In der SPD klagen etliche, die CDU mache ihre Politik weiter wie bisher. Im Grunde habe sich nichts geändert, außer dass die SPD Prügel abbekomme wegen der Schulschließungspolitik der CDU. Parteichef und Wirtschaftsminister Jurk sei kaum wahrnehmbar. Die Union schnappe der SPD die Butter vom Brot. In der CDU ebenfalls Gejammer, nur mit anderem Vorzeichen: Die Minipartei SPD tanze der CDU auf der Nase herum (siehe Nolle), habe Milbradt die besten Ämter (Wirtschaft und Wissenschaft) abgeluchst, ein Teil der SPD mache Oppositionspolitik in einer Regierungskoalition und schere sich einen Deut um Absprachen.
Bernhard Honnigfort
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Große Koalition
Sie gilt als das letzte Mittel, wenn gar nichts mehr geht in der Politik: die Große Koalition aus CDU und SPD - oder umgekehrt. Kritiker bemängeln hingegen, in Großen Koalition gehe meist noch weniger als in anderen Bündnissen: zu viele Kompromisse, zu unbeweglich, zu viele Rücksichten.
In der deutschen Nachkriegsgeschichte gab es zwischen 1966 und 1969 im Bund die einzige Große Koalition unter CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger. In den Bundesländern sind Große Koalitionen dagegen häufiger. Derzeit gibt es allein vier: im Stadtstaat Bremen, in Sachsen und Schleswig-Holstein sowie in Brandenburg. bho