Neues Deutschland, 14.02.2001
Ist Dresdnern Auschwitz egal?
Interview mit Karl Nolle MdL zu Zwangsarbeitern und politischer Moral
Als »Schande für die SPD« haben Sie die Dresdner Stadt-Politik ihrer Partei
genannt. Was hat Sie so aufgebracht?
Dass die gesamte Diskussion um die Zwangsarbeiterentschädigung in eigentümlichen Bahnen verläuft.
Inwiefern?
55 Jahre nach Endes des Krieges eiern überall im Lande Leute um die politisch moralische Verpflichtung zur Entschädigung herum. Ich empfinde das als unerträglich, vor allem bei Sozialdemokraten, Mitgliedern einer Partei, die Teil des Widerstandes gegen die Nazis war, die eine antifaschistische Tradition hat.
Konkret ging es wohl darum, ob sich die Stadt mit einem symbolischen Betrag am Stiftungsfonds beteiligt ...
Die deutsche Wirtschaft muss die notwendigen Milliarden aufbringen. Das andere ist die Frage, inwieweit auch die, die nicht an Zwangsarbeit beteiligt waren, als Zeichen ihres guten Willens bereit sind, die politisch-moralische Verpflichtung mit zu tragen, die wir alle als Deutsche aus dem Zweiten Weltkrieg, aus Auschwitz und Treblinka mitbekommen haben. Das kann durch symbolische Beiträge geschehen. Ich habe das mit meinem Unternehmen getan und als einzigen Arbeitgeberverband den der Druckindustrie in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, dessen Vorsitzender ich bin, dazu veranlasst. Aber von 71.000 Unternehmen im IHK-Bezirk Dresden haben sich ganze 32 Firmen dazu bereit erklärt.
Mit welchen Ausreden versuchen sich die anderen zu drücken?
Auf Briefe an Arbeitgeberverbände, Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern habe ich haarsträubende Ausflüchte bekommen: Der Bankenverband hat leider keinen Spendenetat, die IHK gibt die Aufforderung gern an ihre Mitglieder weiter... Und mündliche Antworten wie: Erstens haben wir den Russen schon genug bezahlt, zweitens waren die Nazis alle im Westen und drittens ist das Sache der Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten.
Nun hat auch die Stadt Dresden einen Beitrag abgelehnt. Wie kam es dazu?
Weil die CDU-Position, nichts zu zahlen, aber die Aufforderung dazu an andere weiterzugeben, leider auch von der SPD gestützt wurde, statt zusammen mit PDS und Grünen eine gemeinsame Position dagegenzusetzen.
Die Dresdner haben sich gestern wieder des Bombenhagels vom 13. Februar 1945 erinnert. Kann ihnen da das Schicksal der Überlebenden von Auschwitz und der Zwangsarbeiter egal sein?
Das ist die Ambivalenz in Dresden: Die schrecklichen Bombennächte sind sehr gut in Erinnerung, doch die Ursachen dafür, Guernika, Rotterdam und Coventry und die KZs werden verdrängt. Das ist ein Stück unaufgearbeiteter Vergangenheit, die leider bis heute reicht. Wenn wir zum Beispiel unseren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf nehmen, so hat sein Vater, Wilhelm Biedenkopf, als NS-Wehrwirtschaftsführer in Buna 4 (Zschopau) Zwangsarbeiter, darunter russische Kinder, beschäftigt und Ingrid Biedenkopfs Vater, Fritz Ries, hat sein Familienvermögen der Arisierung und zum großen Teil der Ausbeutung tausender polnischer Frauen und Mädchen zu verdanken, teilweise auf dem Gelände von Auschwitz,"damit sie die Zeit bis zur Liquidierung noch mit nützlicher Arbeit verbringen", wie es damals hieß. Kurt und Ingrid haben sicher eine behütete Kindheit gehabt.
Ist es unverschämt zu fragen, was diese Persönlichkeiten aus ihrer Millionenprivatschatulle für die geschundenen Zwangsarbeiter gegeben haben, nicht aus persönlicher Schuld, sondern aus politisch-moralischer Verantwortung, damit wenigstens ein Teil des Leidens gemildert wird?
(Fragen: Claus Dümde)