Sächsische Zeitung, 15.12.2005
Ermittler unter Anklage
Affäre. Die Justiz hat die Untersuchungen gegen einen Ines-Mitarbeiter abgeschlossen.
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz macht Ernst: Sie klagt einen Kollegen an, der Dienstgeheimnisse an die Presse verraten haben soll. Nach ihren Erkenntnissen hat der Ankläger im Mai einen Journalisten über eine bevorstehende Razzia beim ehemaligen Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) informiert.
Der Leitende Oberstaatsanwalt Gerd Schmidt teilte der SZ gestern auf Anfrage mit, dass seine Behörde jetzt Anklage erhoben hat. Über Einzelheiten will er die Öffentlichkeit heute informieren.
Wenn das Landgericht Dresden das Hauptverfahren gegen Staatsanwalt Andreas Ball eröffnet, muss sich der Jurist – nach Ansicht von Kollegen ein hochqualifizierter Ermittler – demnächst vor einer Strafkammer verantworten. Balls Rechtsanwalt Ulf Israel lehnte gestern Abend eine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab.
Seit Bekanntwerden der Ermittlungen arbeitet Ball nach SZ-Informationen bei der Staatsanwaltschaft in Meißen. Bis dahin gehörte er der Antikorruptionseinheit Ines in Dresden an. Die Untersuchungen gegen Schommer wegen Korruptionsverdachts dauern immer noch an. Der Ex-Politiker soll nach seiner Amtszeit für Beraterleistungen für das Duale System Deutschland (DSD) ein hohes Honorar erhalten haben. Die Fahnder vermuten eine unzulässige Gefälligkeit.
Herbe Kritik von der Presse
Selten zuvor stand ein Ermittlungsverfahren in Sachsen so in der öffentlichen Kritik wie das gegen Ball. Justizminister Geert Mackenroth (CDU) musste im Landtag und von Journalistenverbänden herbe Kritik einstecken, weil die Ermittler auf der Suche nach dem Informationsleck auch die Telefonverbindungsdaten eines Journalisten überprüften. Dadurch gelang es ihnen herauszufinden, wen der Reporter der Dresdner „Morgenpost“ angerufen und wer ihn angerufen hatte.
Der Informantenschutz von Journalisten sei weniger schutzwürdig als das Strafverfolgungsbedürfnis der Justiz, verteidigte der Minister die Chemnitzer Staatsanwaltschaft und den Eingriff in die Pressefreiheit. Auch die Telefondaten von Staatsanwalt Ball wurden überprüft, ebenso seine Bankkonten.
Ball selbst hat sich bisher öffentlich nie zu den Vorwürfen geäußert. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ behauptete Anfang September in einem Bericht, Ball habe in einer Vernehmung gestanden, den Durchsuchungstermin „versehentlich ausgeplaudert“ zu haben. Wer in der sächsischen Justiz für diese Indiskretion verantwortlich war, ist nie aufgeklärt worden.
Dass Ball derzeit nicht mit Journalisten spricht, ist zumindest nachvollziehbar. Ungewöhnlich bleibt sein Besuch in der Staatskanzlei am Sonntag, den 14. August (die SZ berichtete). Dort weihte er Staatssekretärin Andrea Fischer in das gegen ihn laufende Ermittlungsverfahren ein. Fischer informierte daraufhin Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Welche Motive Ball mit dem Gespräch in der Regierungszentrale verfolgte, ist bis heute unklar.
Von Karin Schlottmann