DIE WELT, 10.01.2006
Verkauf von Wohnungsunternehmen ist kein Patentrezept
Dresden - Der inzwischen vom Staatssekretär zum Innenminister des Freistaates Sachsen aufgestiegene Albrecht Buttolo gilt als Experte in Fragen der Wohnungswirtschaft. Die Stadtumbaupolitik des Freistaates trägt wesentlich seine Züge. Als Minister bleibt Buttolo zuständig für den künftigen Stadtumbau in Sachsen. Mit ihm sprach Dankwart Guratzsch.
DIE WELT: In vielen Städten geht ein Gespenst um: das Gespenst der Wohnungsverkäufe. Ist da nicht wirklich ein "Ei des Kolumbus" gefunden worden, wie man verschuldete städtische Haushalte mit einem Schlag sanieren kann?
Albrecht Buttolo: Die Not in vielen Kommunen ist sehr groß. Und gewiß kann man damit Haushaltslöcher stopfen. Aber nachhaltig ist diese Sanierung nicht. Wenn das Geld ausgegeben ist, kommt kein neues hinzu.
DIE WELT: Müßten die Kommunen nicht sogar froh sein, bei schrumpfender Bevölkerung Bestände loszuwerden, in denen wachsender Leerstand droht?
Buttolo: Die Käufer sind doch nicht dumm. Die handeln die Preise entsprechend herunter. Aufs Ganze gesehen, haben wir im Osten zu große Wohnungsgesellschaften. Die verfügen über gute und weniger gute Bestände. Wenn solche Gesellschaften im Ganzen verkauft werden, dann werden die Preise für die interessanten Bestände mit nach unten gezogen. Bedenklich ist, daß bei einem Gesamtverkauf auch die Entscheidung über die Verwertung der Bestände mitverkauft wird. Daraus können sich Probleme für die Entwicklungsperspektiven der betreffenden Stadt ergeben.
DIE WELT: Es gibt doch Stadtentwicklungspläne. Warum können kommerziell geführte Unternehmen in solche Pläne nicht eingebunden werden?
Buttolo: Das Problem ist die Größenordnung. Wir erwarten in Sachsen bis 2020 einen Bevölkerungsschwund um 15 bis 19 Prozent, in Görlitz 23 Prozent, in Hoyerswerda 36 Prozent. Aber auch in Städten wie Dresden, die noch eine ausgeglichene Bilanz haben, wird der heute schon besorgniserregend hohe Leerstand noch zunehmen, denn wir haben ja immer noch Wohnungsneubau. In dieser Situation müssen die Städte das Steuerungsinstrument für den Stadtumbau in der Hand behalten, um die Entwicklung in richtige Bahnen zu lenken.
DIE WELT: Sind die kommunalen Wohnungsfirmen tatsächlich ein solches Steuerungsinstrument?
Buttolo: Sie sind unser wichtigster Partner beim Stadtumbau. 87 Prozent der bisher in Sachsen rückgebauten Wohnungen stammen aus dem Besitz der kommunalen Wohnungswirtschaft. Die Kooperation mit diesen großen Gesellschaften entscheidet darüber, wie unsere Städte morgen aussehen.
DIE WELT: Es werden aber Sozialverträge abgeschlossen, um die Mieter abzusichern.
Buttolo: Die Situation für die Mieter ist gar nicht das Entscheidende. Wir haben ja einen entspannten Wohnungsmarkt. Es gibt genügend gleichwertige Angebote. Aber die Probleme und die Kosten fallen am Ende auf uns zurück. Den falsch gesteuerten oder gar nicht mehr zu steuernden Stadtumbau muß am Ende der Staat, also der Steuerzahler, teuer bezahlen.
DIE WELT: Drohen französische Zustände? Könnte der Verkauf von Wohnungsgesellschaften Auswirkungen auf das soziale Klima, den sozialen Frieden haben?
Buttolo: Das sehe ich entspannter. Es ist mehr ein West- als ein Ostproblem. Im Osten ist der Bevölkerungsanteil der Migranten geringer. Daß sich Gettos wie in den Pariser Vororten bilden könnten, halte ich derzeit nicht für wahrscheinlich.
DIE WELT: Aber eine soziale Entmischung zeichnet sich doch auch hier schon ab. Nicht nur der Leerstand, auch der Anteil der Alten und Sozialschwachen nimmt zu. Wird das durch Sozialverträge nicht sogar begünstigt?
Buttolo: Für die Plattensiedlungen trifft das zu. Wer es sich leisten kann, zieht weg. Umgekehrt beobachten wir eine neue Zuwanderung in die Innenstädte. In Chemnitz ist mit der Mittelstandsmeile ein ganzes Innenstadtquartier neu entstanden - Wohnungen in Nutzungsmischung mit Geschäften und Büros, die ich für zukunftsträchtig halte.
DIE WELT: Werden kommerzielle Erwerber von Großsiedlungen am Stadtrand nicht versuchen, die Mieter mit Komfortsanierungen und Privatisierungen zu halten?
Buttolo: Ich kann mir nicht vorstellen, daß das funktioniert. Die Privatisierung von Plattenbauwohnungen in den Außenbezirken ist kein Erfolgsmodell. Ich sehe eine größere Gefahr in Dumpingmieten. Dann käme es zu einer gnadenlosen Konkurrenz der Standorte um Mieter. Und dabei würden private Hausbesitzer, die ein, zwei oder drei Häuser besitzen und aufwendig saniert haben, nicht mithalten können. Die haben ihre Hypotheken noch nicht getilgt und bewegen sich mit ihren Mieten schon jetzt an der unteren Grenze.
DIE WELT: Das ginge zu Lasten der innerstädtischen Altbauquartiere.
Buttolo: Das könnte die Altbaugebiete hart treffen, denn dort konzentriert sich der mittelständische private Hausbesitz. Aber diese Quartiere sind auch wichtig für die Identität, die Unverwechselbarkeit und Ausstrahlung der Städte. Sie prägen das Bild der europäischen Stadt.
DIE WELT: Der Leitsatz der Stadtentwicklungspläne lautet, daß der Stadtumbau von außen nach innen erfolgen, also bei den Großsiedlungen am Stadtrand beginnen soll.
Buttolo: Das ist die Zielsetzung. Übrigens haben einige Städte, ich nenne Weißwasser, dafür vorbildliche Strategien entwickelt. Wichtig ist dabei auch der Kostenfaktor der technischen Infrastruktur. Wenn ich den Umbau nicht flächenhaft vorantreibe, sondern nur hier und da einen Block abreiße, verteuert sich der Unterhalt der Versorgungs- und Entsorgungsnetze für die verbleibenden Mieter exponentiell - und der Druck zur Abwanderung steigt weiter.
DIE WELT: Die Letzten beißen also die Hunde?
Buttolo: Das ist leider zu befürchten.
DIE WELT: Dann müßten Sie ja den Verkauf der städtischen Wohnungsgesellschaft (Woba) in Dresden höchst kritisch sehen.
Buttolo: Ich habe damit meine Probleme. Aber ich will nicht mißverstanden werden. Ich bin ja kein Verächter des Marktes und des Wettbewerbs. Eine Veräußerung gut ausgewählter, unsanierter, zukunftsfähiger Quartiere kann ich mir durchaus vorstellen. Dabei müßte es sich um Stadtteile handeln, die langfristig am Stadtumbau nicht beteiligt sind. Für derartige Wohnungspakete ließe sich am Markt ein hervorragender Preis erzielen. Was ich für schlechthin unsinnig halte, das ist der Verkauf kompletter Unternehmen. Denn damit verliere ich eine wichtige Manövriermasse für die kommunale Daseinsvorsorge. Am Ende werde ich auf Strukturen sitzen bleiben, die nichts mehr mit der europäischen Stadt zu tun haben.
von Dankwart Guratzsch