Sächsische Zeitung, 23.02.2006
Verhängnisvolle Systemfehler
Fall Stephanie. Der Polizei in Dresden stand die modernste Meldetechnik Sachsens zur Verfügung – genutzt hat das nichts.
Die Diskussion um die gefährliche Datenpanne im Fall der 13-jährigen Stephanie, die sich fünf Wochen lang in der Gewalt eines vorbestraften und registrierten Sexualtäters befand, der aber von der Polizei dennoch nicht aufgespürt werden konnte, hat eine überraschende neue Wendung bekommen. Die bisher bekannte Version lautet wie folgt: Der mutmaßliche Täter Mario M. zog während seiner Bewährungszeit innerhalb Dresdens um und seine neue Adresse – in unmittelbarer Nähe der Wohnung des minderjährigen Opfers – konnte die eingesetzte Sonderkommission aber nicht per Polizeicomputer abrufen. Die Gründe dafür werden seitdem ergebnislos untersucht.
Das neueste Detail bei der unbestrittenen Datenpanne ist dann aber ungleich brisanter: Während die meisten Polizeidirektionen in Sachsen erst ab Juli 2007 direkt mit den Datenbeständen der örtlichen Einwohnermeldeämter verbunden sein sollen, damit sie notwendige Daten wie im Fall Stephanie aktuell abrufen können, ist das in Dresden längst der Fall. Hier steht den Beamten das Computersystem bereits zur Verfügung, ohne dass erkennbar darauf zurückgegriffen wurde.
Falsche Daten, falsche Fährte
Innerhalb weniger Sekunden, so berichten Experten, lässt sich damit für jeden bekannten Sexualstraftäter einer Stadt die aktuelle Wohnadresse abrufen. Ein Aufwand, der auch angesichts der über 1 000 Personen gerechtfertigt gewesen wäre, die in Dresden wegen einschlägiger Delikte registriert sind. Man hätte nur die schweren Fälle, zu denen der vorbestrafte Sextäter Mario M. gehört, vorziehen müssen.
Die Polizeidirektion Dresden bestätigte gestern auf Anfrage nur, dass es ein entsprechendes Abfragesystem gibt, wollte sich zu Details aber nicht äußern. Ähnlich reagierte das Innenministerium. Die Zurückhaltung ist erklärbar, wenn man weiß, dass die eingesetzte Sonderkommission bei der Tätersuche – zum damaligen Zeitpunkt offenbar im besten Glauben – auf das falsche Pferd gesetzt hat. Sie nutzte lediglich die polizeiinterne Datenbank PASS, in der Täter samt ihrer Straftaten registriert sind. PASS wurde im Fall von Mario M. aber vermutlich falsch gefüttert. Nach bisherigen Erkenntnissen taucht er dort zweimal auf: Einmal als vorbestrafter Sexgangster mit seiner alten Wohnadresse, die sich fernab von Stephanies Elternhaus befindet. Und seit Ende 2004 (!) mit seiner neuen, korrekten Adresse in unmittelbarer Umgebung seines Opfers – hier aber lediglich wegen eines geringfügigen Gewaltdelikts.
Wer für den fehlerhaften Datensatz verantwortlich ist, soll eine polizeiinterne Untersuchung klären, deren Ergebnisse mittlerweile aber nicht mehr in dieser Woche erwartet werden. Innenminister Albrecht Buttolo und Justizminister Geert Mackenroth (beide CDU) üben sich derweil in Schadenbegrenzung. Am Freitag will man auf einem Krisentreffen beraten, wie solche Pannen künftig verhindert werden können.
von Gunnar Saft