Freie Presse Chemnitz, 24.02.2006
Fördergeldverzicht provoziert Koalitionsstreit
Jurk-Ministerium stimmt Kürzung von 66 Millionen Euro zu -„Schlag gegen sächsische Interessen"
Sachsen wird in den nächsten drei Jahren auf 66 Millionen Euro Fördermittel verzichten. Das SPD-geführte Wirtschaftsministerium stimmte einer Absenkung der Bundesausgaben im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe (GA) zu und löste damit erneut einen heftigen Koalitionskrach aus.
Dresden/Berlin. „Für die Ansiedlung neuer Unternehmen sind diese Fördermittel unverzichtbar", reagierte Finanzminister Horst Metz (CDU) verärgert. Noch am Freitag vergangener Woche hatte Finanzstaatssekretär Wolfgang Voß das Wirtschaftsministerium vor Versuchen Bayerns gewarnt, den Ostländern GA-Mittel zu kürzen. Staatssekretär Christoph Habermann verbat sich darauf eine Einmischung. Sein Abteilungsleiter Ulrich Schlicht stimmte schließlich im Planungsausschuss „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" unter Vorbehalt für einen Entwurf der Bundesregierung, der für Sachsen ein Minus von 66 Millionen Euro bis 2008 bedeutet.
„Wir brauchen das Geld, um die ostdeutsche Wirtschaft weiter voran zu bringen", artikulierte Finanzminister Metz seine Enttäuschung. Es sei völlig unverständlich, warum ausgerechnet das Wirtschaftsministerium einer Mittelkürzung,seine Zustimmung erteilt hat. „Man kann nicht bei den Haushaltsverhandlungen vom Finanzminister Geld fordern und gegenüber dem Bund auf hohe Zuweisungen für Sachsen verzichten."
Deutlicher drückte Michael Luther, Sprecher der sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten, seine Empörung aus. Er sprach von einer „Laienspielschar", die im Dresdner Wirtschaftsministerium Regie führe. „Sachsen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel im Regen stehen gelassen", sagte Luther mit Hinweis auf deren Widerstand gegen die Umverteilungspläne von Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber. Im Koalitionsvertrag sei verankert, dass der Osten von Kürzungen bei der GA-Förderung verschont bleibe. Das habe das Kabinett bei seiner Klausur in Genshagen kürzlich bekräftigt.
Dass die übrigen ostdeutschen Länder keinen Widerstand gegen die Kürzung der Zuweisungen einlegten, liegt an deren desolater Haushaltslage. GA-Mittel müssen vom jeweiligen Land zur Hälfte kofinanziert werden. Dazu ist nur noch Sachsen fähig. Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) müsse den „peinlichen Arbeitsfehler" seines Kabinettskollegen Thomas Jurk korrigieren, forderte Karl-Friedrich Zais, wirtschaftspolitischer Sprecher der PDS im Landtag.
Milbradt, der gestern seinen 6r. Geburtstag feierte, telefonierte bereits mit Jurk. Auch der Regierungschef dürfte nicht amüsiert gewesen sein.
Die Erklärung aus dem Wirtschaftsressort klingt generös. „Wir haben in den vergangenen r6 Jahren sehr viel Unterstützung aus den alten Ländern erfahren," ließ Jurk verbreiten. „Wer Solidarität als Einbahnstraße betrachtet, darf sich nicht wundern, wenn sie irgendwann ausbleibt!'
Auf Kritik stößt die Entscheidung des Jurk-Ministeriums auch beim wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Landstagsfraktion,
Karl Nolle. Er spricht von einem „schweren, blamablen Fehler" und einem „Schlag gegen die Interessen Sachsens und der sächsischen Wirtschaft." Es handele sich um eine „einsame" administrative Entscheidung.
Die sächsische Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann (CDU) warf den ostdeutschen Wirtschaftsministern vor, mit ihrer leichtfertigen Preisgabe von Fördergeldern den Solidarpakt aufs Spiel zu setzen. Mit dem freiwilligen Verzicht von 85 Millionen Euro sei weiteren Kürzungen der Hilfen für die neuen Länder Tür und Tor geöffnet, Von der Kürzung seien vor allem die klein- und mittelständischen Unternehmen betroffen.
Nach den Worten von Bellmann sind die Ost-Wirtschaftsminister einer „dreisten Trickserei" des Westens auf den Leim gegangen. Besonders heftig kritisierte Bellmann den sächsischen Minister Jurk. Sie frage sich, „ob ein Minister, der derart gegen die Interessen seines Landes handelt, noch im Amt tragbar ist". (mit PK)
Von Hubert Kemper