Freie Presse Mittweida, 09.03.2006
Gerichtsmühlen um behinderte Schülerin mahlen weiter
Landkreis darf gegen Schulbuskosten vor dem Oberverwaltungsgericht prozessieren – SPD-Aufklärer Nolle: Rechtsaufsicht des Freistaats ist eine Farce
Seit Jahren kämpft ein Mobendorfer Ehepaar um die Erstattung der hohen Schulbuskosten für seine behinderte Tochter. Doch das Landratsamt in Mittweida weigert sich beharrlich, für die Fahrten zur Schwerhörigenschule nach Chemnitz zu zahlen. Jetzt soll das Oberverwaltungsgericht in Bautzen entscheiden.
Mittweida/Mobendorf/Dresden. Trotz eines gewonnenen Prozesses vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz im Sommer 2005 ist jetzt für Familie Finke wieder alles offen. Wie das Landratsamt Mittweida auf Anfrage der „Freien Presse“ bestätigte, hat das Oberverwaltungsgericht in Bautzen einem Berufungsantrag der Kreisverwaltung gegen das Chemnitzer Urteil stattgegeben.
Die Richter in Chemnitz hatten entschieden, dass das Sozialamt des Kreises Mittweida für die Mehrkosten aufkommen muss, die den Finkes bei der Schülerbeförderung entstanden, weil ihre Tochter Maria nicht wie andere gesunde Schüler die nächstgelegene Schule in der Nähe ihres Heimatortes Mobendorf besuchen konnte. Das hätte 115 Euro pro Schuljahr gekostet. Für die Fahrten zur Schwerhörigenschule „Georg Götz“ in Chemnitz mussten die Eltern hingegen zuletzt 920 Euro zahlen. Diese Mehrkosten werden nach Angaben des sächsischen Innenministeriums in fast allen Landkreisen des Regierungsbezirks von den Sozialämtern übernommen – nur Mittweida stellt sich quer.
Der Kampf der Familie dauert bereits zweieinhalb Jahre. Inzwischen hat Maria Finke die Schule abgeschlossen. Da sie über 18 Jahre alt ist, muss sie nun vor Gericht selbst als Klägerin auftreten. „Für uns ist nicht nachvollziehbar, wie der Streit um die Auslegung von Gesetzestexten auf dem Rücken von Behinderten ausgetragen werden kann“, schrieben Ronald und Bettina Finke an den Petitionsausschuss des Sächsischen Landtages.
Kreis will Grundsatzfrage klären
Dem Landkreis gehe es in der Auseinandersetzung keineswegs darum, die Interessen Behinderter zu beschneiden, betont Katja Uhlemann, Pressesprecherin im Landratsamt. Vielmehr wolle man ein grundsätzliches Rechtsproblem klären: Wer muss für die Beförderungskosten aufkommen, wenn behinderte Kinder eine Spezialschule außerhalb des Wohnortlandkreises besuchen? „Dies richterlich feststellen zu lassen, bedeutet letztlich Rechtssicherheit für alle Betroffenen“, so die Pressesprecherin. Nach Ansicht der Kreisverwaltung lässt das Chemnitzer Urteil die Frage offen, ob es sich hier um Eingliederungshilfe, um Hilfe zum Lebensunterhalt oder um Leistungen des Schulamtes Chemnitz handelt. Nach Angaben von Familie Finke gibt es im Landkreis Mittweida weitere Betroffene dieses Rechtsstreits. Um wieviele Personen es sich handele, könne man nicht sagen, hieß es dazu aus dem Landratsamt.
Innenminister schaut tatenlos zu
Für den SPD-Landtagsabgeordneten
Karl Nolle, der sich mit seinen kritischen Anfragen an die Staatsregierung als „Chefaufklärer“ einen Namen gemacht hat, offenbart der Fall der Familie Finke Erschreckendes. Das Verhalten der Kreisbehörde zeuge von „Ignoranz, Unbelehrbarkeit und fehlendem rechtsstaatlichen Verständnis“. Nolle hat jetzt die Antworten des Innenministeriums auf seine entsprechenden Anfragen erhalten. In dem Schriftstück bestätigt Innenminister Albrecht Buttolo, was ein Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Chemnitz gegenüber „Freie Presse“ schon im vergangenen Sommer eingeräumt hatte: Der Freistaat ist zwar eindeutig der Auffassung, dass das Landratsamt zahlen muss. Weil rechtsaufsichtliche Schritte gegen den Landkreis Mittweida aber möglicherweise nur zu weiteren juristischen Auseinandersetzungen führen würden, schaut man in Dresden derzeit tatenlos zu. „Das ist schon ein starkes Stück: Das RP Chemnitz und die Staatsregierung verzichten auf rechtsaufsichtliche Schritte und lassen die betroffenen Bürger im Regen stehen“, stellt Nolle fest. Sein Fazit lautet: „Wenn Rechtsaufsicht so aussieht, dann ist sie eine Farce.“
Von Oliver Hach