Neues Deutschland ND, 16.03.2006
Querelen in Sachsens SPD
Landesvorsitzender nach Nolle - Rücktritt von keinem Zweifel getrübt
Wenn auch Beobachter in Dresden seit Wochen zunehmendes Knirschen in der sächsischen schwarz-roten Regierungskoalition konstatieren: Sachsens SPD hat derzeit vor allem mit sich selbst zu tun. Am Dienstagnachmittag hatte der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag,
Karl Nolle, offenbar endgültig die Nase voll. Er trat zurück.
Bis zum späten Mittwochvormittag brauchte Sachsens SPD-Landeschef und Wirtschaftsminister Thomas Jurk Zeit, um auf den Rücktritt zu reagieren - und seine Kritik an Nolle zu erneuern. »Wir haben viel Langmut bewiesen, einmal muss Schluss sein«, gab Jurk nach nächtlicher Denkpause zu Protokoll. Dass er damit seinen Vorwurf, Nolle habe seinen Ausstieg aus dem Sprecheramt lange vorbereitet, kurzerhand ins Gegenteil verkehrt, schien ihm dabei völlig entgangen zu sein.
Offenbar haben die Parteioberen in Sachsens SPD, denen Nolles permanenter Widerspruchsgeist, die Kritik am Koalitionspartner CDU, aber auch dessen Popularität wie Beschwörung sozialdemokratischer Wurzeln seit Jahren auf die Nerven geht, ihrerseits den Rückzug des 61-jährigen Druckereiunternehmers lange vorbereitet. Erst in der Vorwoche war Fraktionschef Cornelius Weiss mit eindeutigem Wink zitiert worden. Wenn Nolle keine Lust mehr habe, wirtschaftspolitischer Sprecher zu sein, könne er das Amt ja abgeben. SPD-Landessprecher Andreas Weigel brachte eine Ablösung Nolles ins Gespräch. Auch von Forderungen nach Mandatsniederlegung soll bereits die Rede gewesen sein.
Ausgelöst worden war der aktuelle Streit durch ein Thesenpapier des schwergewichtigen Querdenkers, der immerhin schon Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf das Fürchten gelehrt hatte. In dem Papier kritisiert Nolle scharf die mangelnde Kommunikation und politische Abstimmung zwischen dem Jurkschen Wirtschaftsministerium und der Landtagsfraktion, derlei sei dringend reformbedürftig. »Leider ist es bis heute so«, heißt es in dem Papier, »dass man als Fachpolitiker oder Fachreferent manchmal besser CDU-Referenten oder CDU-Fachpolitiker anruft, wenn man Informationen aus unserem eigenen Ministerium haben will ... Es ist fast so, als herrsche bei unseren Leuten ein Schweigegelübde.«
Der Hannoveraner Nolle, der sich am 9. November 1989 auf Besuch in Dresden befand und sich am Abend spontan zum ständigen Bleiben entschloss, hatte sich kürzlich über die wenig eindeutige Haltung von Sachsens Wirtschaftsministerium zum Thema Verringerung von Fördermitteln für den Osten geärgert - und war damit bei Jurk erwarungsgemäß nicht auf Gegenliebe gestoßen. Ob allerdings Nolles Rücktritt vom Sprecher-Amt die Genossen in Sachsen fortan vor seiner Bissigkeit bewahren wird, darf heftigst bezweifelt werden.
Von Gabriele Oertel