SPIEGEL 14/2006, Seite 17, 02.04.2006
AFFÄREN: "Die Sache stinkt gewaltig"
Eine Milliardenzusage der Schröder-Regierung für Gasprom sorgt in Berlin für Aufregung.
Die staatliche Bürgschaft für einen möglichen Milliardenkredit an das russische Unternehmen Gasprom sorgt für Unruhe unter den Regierungsparteien. Bayerns Wirtschaftsminister Erwin Huber (CSU) fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, die Finanzzusagen unverzüglich zu überprüfen: "Angesichts der breiten öffentlichen Diskussion ist eine Aufklärung dieser Angelegenheit im Interesse aller Beteiligten." In der CSU wird auch von Wirtschaftsminister Michael Glos erwartet, dass sein Haus in diesem Sinne tätig wird. Vergangenen Freitag war durch einen vertraulichen Vermerk des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesfinanzministerium, Karl Diller (SPD), bekannt geworden, dass die Regierung Schröder noch in den letzten Tagen ihrer Amtszeit dem russischen Energieversorger Gasprom Hilfe bei einem Milliardengeschäft angeboten hat. In seiner vertraulichen Mitteilung ("VS - nur für den Dienstgebrauch") hatte das Finanzministerium den Haushaltsausschuss des Bundestags am 23. März über den Vorgang informiert. Aus dem Schreiben geht hervor, dass die rot-grüne Regierung eine "Garantie für einen ungebundenen Finanzkredit an die Gasprom" über eine Milliarde Euro zuzüglich Zinsen zugesichert hatte. Die Haftungszusage erfolgte "im Rahmen des von Altbundeskanzler Schröder und Präsident Putin vereinbarten Nordeuropäischen Gaspipeline-Projekts (NEGP)".
Der "Interministerielle Ausschuss für die Vergabe der Garantien" habe die "energiepolitische Förderungswürdigkeit des Projekts (Sicherung des Zugangs Deutschlands zu wichtigen Rohstoffquellen) bejaht". Gasprom wolle mit dem Kredit einen Teil der Pipeline finanzieren, die das westsibirische Gasfeld Juschno Russkoje mit St. Petersburg verbindet. Von dort ist der Bau einer Unterwasser-Pipeline durch die Ostsee bis nach Greifswald geplant. Anders als sonst bei derartigen Krediten üblich "erfolgte die Deckungszusage sowohl für das politische als auch wirtschaftliche Risiko", heißt es in der Vorlage des Finanzministeriums. Der Bund wolle einspringen, falls Gasprom diesen Kredit nicht zurückzahlen könne. Die Höchsthaftung liege bei 900 Millionen Euro zuzüglich Zinsen.
Eine Sprecherin der staatlichen KfW-Bankengruppe bestätigte am vergangenen Freitag, man arbeite gemeinsam mit anderen Banken an einem Kredit, doch noch sei keine Geldzahlung bewilligt. Schröder, der am Donnerstag voriger Woche zum Vorsitzenden des Aktionärsrates der NEGP gewählt worden war, erklärte zu dem Vorgang: "In meiner Regierungszeit hatte ich keinerlei Kenntnis von einem solchen Vorschlag und war deshalb auch nie damit befasst." In einer Stellungnahme versicherte Gasprom, das Unternehmen habe sich entschieden, die Kreditangebote der Banken abzulehnen. Bodo Ramelow, Fraktionsvize der Linkspartei im Bundestag, will seiner Fraktion dennoch raten, rechtliche Schritte gegen Schröder zu prüfen. Offensichtlich seien bei der Vergabe der Bürgschaft persönliche Interessen im Spiel gewesen: "Ich sage ausdrücklich, auch eine strafrechtliche Überprüfung muss erwogen werden." Aus der sächsischen SPD kam ebenfalls Kritik. Der Landtagsabgeordnete
Karl Nolle nennt die Bürgschaft für Gasprom "eine politische Unrechtsvereinbarung": "Die Sache stinkt gewaltig."
Nun hat die Spurensuche nach den Verantwortlichen für den Russendeal begonnen. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" ist die Bürgschaftszusage am 24. Oktober 2005 erteilt worden. Zu jenem Zeitpunkt hatte Schröder seinen Rücktritt vom Regierungsamt bereits angekündigt, aber noch nicht vollzogen. Vehement verteidigte er danach die politische Unterstützung seiner Regierung für den Pipeline-Bau gegen Einwände Litauens und Polens. Es sei "unrealistisch", auf einen anderen Kurs der neuen Bundesregierung zu hoffen.
Am 22. November wurde Angela Merkel als Bundeskanzlerin vereidigt. Am 9. Dezember gab Gasprom bekannt, dass Schröder die Führung des Aufsichtsrats des deutsch-russischen Konsortiums übernehmen solle. Nun wird in Berlin gerätselt, wer die Bürgschaftszusage politisch zu verantworten hat. Die alte Regierung war zwar formell noch im Amt, aber politisch nur noch bedingt geschäftsfähig. Schröder, der sich am Freitag mit seiner jetzigen und damaligen Büroleiterin Sigrid Krampitz beriet, konnte sich an keinen derartigen Vorgang erinnern. Auch Joschka Fischer, damals Schröders Außenminister, zuckte mit den Achseln: "Davon ist mir nichts bekannt."