Frankfurter Rundschau, 04.04.2006
Medien treiben Milbradt zu Flutopfern
Kritiker murren, Sachsens Regierungschef habe sich nicht nur das Elbhochwasser zu lange von fern betrachtet
Gummistiefel an, ab ins Auto, schnell zum Elbhochwasser. Am Montag früh entdeckte Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) endlich die Sorgen der Flutopfer. Zeitungen hatten ihm Beine gemacht.
Dresden · Alarmstimmung in der Dresdner Staatskanzlei. Nicht wegen des Elbhochwassers, sondern wegen eines Zeitungstitels: "Milbradt verhöhnt Flutopfer" hatte die Dresdner Morgenpost großlettrig geschrieben und dem Ministerpräsidenten in einem Kommentar kräftig die Ohren lang gezogen. Denn: Als das Hochwasser am Sonntag in Dresden 7,32 Meter überschritten hatte, sprach Milbradt davon, dies sei noch keine Katastrophe und mit der Jahrhundertflut vom August 2002 auch nicht vergleichbar. Eine Bemerkung, der auch Experten nicht widersprechen: Ein Hochwasser wie das jetzige kann alle zehn Jahre passieren.
So hat Milbradt zwar Recht, nur: Den Leuten in Königstein, Dresden, Bad Schandau oder Meißen, deren Häuser seit Tagen unter Wasser stehen, nützen seine Worte gar nichts. So war es mal wieder typisch Milbradt: In der Sache richtig, aber ohne Herz. Keine Worte des Mitleids, kein Bedauern. Bislang war Milbradt nirgendwo als "Deichgraf" unterwegs, um sich ein Bild von den Schäden zu machen. Nirgendwo stand er am Sandsackwall, redete mit Feuerwehrleuten oder ermunterte seine Landeskinder. Das alles hatte er an seinen Umweltminister delegiert. Die Sächsische Zeitung fragte deshalb, ob der Landesvater wohl auf "Tauchstation" sei.
Karl Nolle, Landtagsabgeordneter des kleinen Koalitionspartners SPD, polterte, leider sei das Wasser nicht durch Milbradts Wohnzimmer geflutet. Dann hätte der nicht so geredet.
Im Sommer 2002 war das anders. Es war Bundestagswahlkampf, Gerhard Schröder war noch Kanzler und schwamm medial auf der Jahrhundertflut. Er zeigte sich in Sachsen, versprach Hilfe, spazierte in Regenjacke durch das zerstörte Grimma. Stets an seiner Seite: Milbradt in seinen quietschgelben Stiefelchen.
Diesmal musste ihn eine Boulevardzeitung wecken. "Holen Sie schleunigst Ihre Gummistiefel heraus und zeigen Sie Solidarität", donnerte die Morgenpost. Milbradt fuhr sofort los Richtung Meißen und Riesa.
Seit vier Jahren regiert der 61-jährige Professor der Wirtschaftswissenschaften Sachsen. Er ist kein Landesvater-Typ wie Kurt Beck, eher ein sturer und trockener Landesstiefvater. 2001 hatte Vorgänger Kurt Biedenkopf ihn als Finanzminister mit den legendären Worten gefeuert, Milbradt sei ein "hervorragender Fachmann, aber miserabler Politiker". Danach hat Milbradt sich aufgerappelt, den CDU-Vorsitz erobert und 2002 schließlich Biedenkopf abgelöst. Die Schlacht der beiden hat damals die Sachsen-CDU fast zerrissen.
In diesen Tagen macht der Biedenkopf-Satz wieder die Runde. "Kein Gespür für Menschen", heißt es in den Reihen der CDU/SPD-Koalition, und manch einer attestiert ihm Mangel für politische Symbolik und die Bedürfnisse von TV und Radio. Milbradt ist so fernsehtauglich wie Dörrobst.
Überhaupt wirkt seine Landesregierung so müde, als sei sie nicht erst eineinhalb, sondern schon 25 Jahre am Ruder. Es werde kaum noch regiert, nur noch verwaltet, heißt es in der Staatskanzlei. Milbradt halte sich aus heiklen Themen heraus. Kürzlich bot ihm sein Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) sogar öffentlich den Rücktritt an. Der Minister wollte damit erreichen, dass sich Milbradt endlich in den Streit um eine Kreis- und Verwaltungsreform einmischt. Der 59-jährige Buttolo ließ durchblicken, er habe sich nie um den Posten des Innenministers gerissen. Und: Er habe eine schöne Terrasse, auf der er auch gut seine Zeit verbringen könne.
von Bernhard Honnigfort
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Georg Milbradt
Der 1945 im Sauerland geborene und in Dortmund aufgewachsene Professor der Wirtschaftswissenschaften regiert seit 2002 in Sachsen. Er löste Kurt Biedenkopf ab (CDU), der den Kämmerer von Münster 1990 geholt und 2001 mit großem Krach als Finanzminister entlassen hatte.
Biedenkopf hatte Milbradt verdächtigt, ihn absägen zu wollen. So kam es auch: Biedenkopf ging in einem Strudel von Affären unter, Milbradt wurde 2002 Regierungschef und brach 2004 bei der Landtagswahl ein. Seitdem muss die CDU mit der SPD regieren. bho