DNN/LVZ, 31.08.2006
Ein Gutsherr und ein Vize-OB regierten Dresden
Mit versteinertem Gesicht und zuckenden Fingern an der rechten Hand vor dem Mund nimmt Ingolf Roßberg (FDP) vor dem Landgericht Dresden die vernichtenden Worte von Till Pietzcker entgegen. Ein Jahr und sechs Monate Gesamtgefängnisstrafe verlangt der Staatsanwalt. Das würde sofortiger Verlust des OB-Jobs und aller sozialen Leistungen bedeuten, mithin der wirtschaftliche Ruin der Familie. Pietzcker fügt fast süffisant hinzu: Trotz fehlender Unrechtseinsicht bei Roßberg soll die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Schließlich sei der vom Dienst suspendierte OB nicht vorbestraft.
Wieder verstrich gestern fast ein ganzer Tag vor Gericht, diesmal von 9 bis "nur" 16.30 Uhr, bevor unterbrochen wird, damit Endrik Wilhelm, der Anwalt des früheren Fluthilfekoordinators Rainer Sehm, nach München zu einem anderen Termin fliegen kann. Der Tag stand im Zeichen von Staatsanwalt Pietzcker und von Sehm-Anwalt Wilhelm. Roßberg-Anwalt Peter Manthey hält erst morgen ab 16 Uhr sein Plädoyer. Vielleicht ein Vorteil. Bis dahin ist das rhetorisch und inhaltlich imposante Plädoyer von Wilhelm verblasst.
Doch zunächst zu Pietzckers Auftritt. Er steht die ganze Zeit, genießt jedes Wort, argumentiert fast so, als habe es keine 17 Prozesstage gegeben. Mit einem Unterschied vielleicht. Roßberg fehle es an Unrechtsbewusstsein, konstatiert er. In seiner fast zweieinhalbstündigen Einlassung am Montag habe der Angeklagte selbstgefällig nur einen Fehler eingestanden: seine Gutgläubigkeit gegenüber Sehm. Schuld seien alle anderen - die Presse, die CDU, das Regierungspräsidium, die Stadtverwaltung.
Pietzcker bedient sich in seinem Plädoyer eines Vergleichs von Richter Klaus Tolksdorf aus dem Mannesmann-Prozess: Roßberg habe sich wie ein Gutsherr aufgeführt statt wie ein Gutsverwalter. Dabei habe der Angeklagte vergessen, dass ihm die Stadt nur auf Zeit zu treuen Händen übergeben wurde.
Pietzcker sieht als erwiesen, dass Roßberg Sehm geholfen habe, Vermögen an den Gläubigern vorbei in die eigene Tasche zu wirtschaften. Roßberg habe verlernt, zwischen sich und der Person des OB zu unterscheiden. "Er hat Unterlagen frisiert, Verträge rückdatiert, war skrupellos gegenüber Mitarbeitern", so der Staatsanwalt, der glaubt, den Angeklagten beim Lügen ertappt zu haben. Vor allem aber habe Roßberg das Vertrauen der Bürger missbraucht, die ihn gewählt haben. Deshalb wiegen laut Pietzcker die Taten von Roßberg besonders schwer. Ganz zu schweigen von der Verletzung der Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter im Flutbüro, denen er Anwälte bei der Vernehmung durch den Staatsanwalt an die Seite gestellt habe, um seinen eigenen Kopf zu retten.
Sehm wiederum habe seine Stellung als Amtsträger missbraucht, habe als "Vize-OB" in der Verwaltung agiert, getäuscht und verschleiert. Dass er dennoch "nur" zwei Jahre Gefängnis auf Bewährung forderte, begründete Pietzcker mit dem Teilgeständnis und einer gewissen Reue. In der zentralen Frage, ob Sehm Amtsträger gewesen sei, ist Wilhelm indes komplett anderer Meinung. Das legt er anhand zahlreicher Urteile des obersten Gerichts dar. Dieser, seiner Meinung sei auch der Datenschützer Thomas Giesen gewesen, der ja moniert habe, dass Sehm zu jener Zeit eben nicht Amtsträger war.
Auch der Annahme Pietzckers, es gebe zwischen Sehm und Roßberg eine Männerfreundschaft und fortgesetzte Kumpanei, widerspricht Wilhelm. Er sei selbst Stadtrat in Radebeul gewesen, als beide dort gewirkt haben. Er habe die unterstellte Freundschaft dort nicht erlebt. Beide seien aber fachlich sehr gut gewesen.
Einen Glaubwürdigkeitstest hat Roßberg indes gestern bestanden. Der kurzfristig von Richter Hans Schlüter-Staats als Zeuge geladene Ulrich Finger, bekannt als Stadion-Beauftragter im OB-Büro, schilderte die Finanzierungsprobleme beim Umbau des Erlwein-Speichers in ein Maritim-Hotel. Finger bestätigte, dass Simone Heine mit ihrer Firma Cara Immobilien auf Investorensuche war. Darüber sei der OB aber nicht informiert gewesen. Damit untermauerte Finger Roßbergs Version dazu. Morgen hat Roßbergs Anwalt Manthey die Gelegenheit, ab 16 Uhr im Landgericht in seinem Plädoyer weitere Pluspunkte zu sammeln.
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