DNN/LVZ, 16.09.2006
"Aktie war zu hoch bewertet" – Kanzleramtschef Thomas de Maiziére:
Regierung muss das tun, was notwendig ist - "Das macht uns nicht beliebt"
Beliebt sind die Politiker der großen Koalition derzeit wirklich nicht. Wollen sie auch nicht unbedingt sein, behauptet der Kanzleramtschef von Angela Merkel, Bundesminister Thomas de Maiziére (CDU). Sie seien da, um Ordnung zu schaffen, sagt er im Interview mit unserer Zeitung.
Nur 58 Prozent der Bürger stehen, so Umfragen, noch hinter den Koalitionsparteien. Was läuft falsch?
Maiziére: Wir würden etwas falsch machen, richteten wir unsere Politik an Umfrage-Ergebnissen aus. Wir müssen das tun, was notwendig ist. Das kann im Moment nicht populär sein: Zum Beispiel Haushaltskonsolidierung, Gesundheitsreform, Steuersubventions-Abbau, Mehrwertsteuer-Erhöhung, Soldaten in Krisengebiete schicken. Das ist alles schwierig, aber unabweisbar. Das macht uns nicht beliebt. Aber wir sind gewählt, um das Land in Ordnung zu bringen.
Das jetzige Tief ist also normal?
Maiziére: Die Erwartungen waren zu Regierungsbeginn sehr hoch. Mancherorts vielleicht zu hoch. Die ersten Bewertungen unserer Arbeit waren auch entsprechend übertrieben gut. Im Aktiendeutsch: Unsere Aktie war zu hoch bewertet. Jetzt ist sie zu niedrig bewertet. Außerdem bitte ich um Verständnis: Diese Koalition hat sich vorgenommen, die schwierigen Themen zu Beginn und nicht zum Ende zu entscheiden.
Sie als Kanzleramtsminister tragen die Hauptverantwortung für handwerklich gute Regierungsarbeit. Sie kennen die Rot-Grün-Erfahrungen. Haben Sie den Laden fehlerfrei im Griff?
Maiziére: Zu behaupten, man macht keine Fehler, wäre eine falsche Selbsteinschätzung. Zum Beispiel war es ein handwerklicher Fehler, die letzte gute Koalitionsverabredung zum Allgemeinen Gleichstellungsgesetz in letzter Minute nicht vollständig umzusetzen.
Und ging zu wessen Lasten?
Maiziére: Zu Lasten von allen. Rot-Grün leistete sich viele handwerkliche Fehler in der Gesetzgebung. Wir geben uns größte Mühe, das zu vermeiden. Auch wenn wir deshalb die eine oder andere Verschiebung in Kauf nehmen müssen, beispielsweise beim Gesetzgebungsverfahren zur Gesundheitsreform. Diese Kritik müssen wir aushalten. Etwas anderes sind die Abstimmungsmechanismen. Das ist in einer großen Koalition komplizierter, weil mehr Akteure betroffen sind als in einer kleinen Koalition. Das funktioniert bei den handelnden Personen der ersten Reihe ziemlich gut. Bei Akteuren der zweiten, dritten und vierten Reihe ist das noch verbesserungswürdig.
Wo sitzen die "Störenfriede"?
Maiziére: Den Ausdruck "Störenfried" weise ich zurück. Meine Aufzählung war eine informelle Beschreibung des politischen Gewichts.
Wollen frustrierte Unions-Männer in den Ländern der Kanzlerin zeigen, was eine Harke ist?
Maiziére: Diese Beschreibung halte ich für eine Zumutung - gegenüber den Ministerpräsidenten der Union.
Ohne Gesundheitsfonds wird es bald keine Kanzlerin Merkel mehr geben. Muss deshalb der Fonds kommen?
Maiziére: Die These ist Unsinn. Wir bestehen nicht darauf, weil das irgendjemand besonders will, sondern weil es vereinbart ist in den Eckpunkten zur Gesundheitsreform. Der Gesundheitsfonds - sauber konstruiert - ist gut und richtig, um Wettbewerb in das System zu bringen, um die bisherigen Unübersichtlichkeiten aufzulösen. Er ist ein fortschrittlicher Beitrag zur Zukunft des Gesundheitssystems. Alle Beteiligten der Koalition sind gut beraten, einmal vereinbarte Eckpunkte auch durchzutragen, auch gegen Widerstände. Das gilt nicht nur für die Gesundheitsreform.
Erwarten Sie eine Verbesserung der politischen Stimmung durch Gottes Fügung oder durch eigene Leistungen?
Maiziére: Gottes Fügung ist auch nichts Schlechtes, aber die wird hier wohl nicht helfen. Viele wirtschaftliche Daten zeigen nach oben: Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Erwerbstätigkeit steigt. Wir tun sehr viel für Forschung und Innovation. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte schreitet voran. Alles musste mühsam erkämpft werden, wird aber seine Wirkung auf die Wähler nicht verfehlen. Da bin ich ganz sicher.
Kann Frau Merkel Georg Milbradt nicht leiden und ermutigt sie Sie, sich für dessen Nachfolge in Sachsen bereitzuhalten?
Maiziére: Das ist echt blühender Unsinn.
Sie laufen sich nicht für Sachsen warm?
Maiziére: So ist es.
Verfügt Georg Milbradt über die Herzenswärme und menschlichen Werte, um ein geliebter Landesvater zu sein?
Maiziére: Ja, er hat auf seine Art große menschliche Fähigkeiten. Und er ist ein sehr erfolgreicher Ministerpräsident.
Das soll er auch bleiben?
Maiziére: Wenn er das will, wird er es bleiben.
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Von Dieter Wonka, Berlin