DNN/LVZ, 07.10.2006
"Schwerwiegendes Fehlverhalten" des Geheimdienstes
Dresden. Heftiger Zoff um Sachsens Verfassungsschutz: Datenschützer Andreas Schurig wirft dem Geheimdienst vor, in mehreren Vorgängen selbst gegen die Verfassung verstoßen zu haben. Der Fall sei bundesweit einmalig, sagte Schurig gestern in Dresden. Wegen einer "fortgesetzten rechtswidrigen Beobachtung der Organisierten Kriminalität (OK) habe er das Landesamt förmlich beanstandet". Es handele sich um ein "schwerwiegendes Fehlverhalten". Trotz eines anders lautenden, gesetzeskräftigen Urteils des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Juli 2005 habe der Nachrichtendienst weiter Informationen über die Szene der Organisierten Kriminalität gesammelt und ausgewertet. Damit seien rechtswidrig personenbezogene Daten erhoben, gespeichert und übermittelt worden. "Es handelt sich um einen sehr gravierenden Fall, einen strukturellen Datenschutzverstoß. Ein derartiger Verfassungsbruch darf sich nicht wiederholen", betonte Schurig. "Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes sind für Behörden bindend - auch und gerade für den Verfassungsschutz."
Mit im Spiel sollen alle geheimdienstlichen Mittel wie das Abhören von Telefonen und Wohnungen gewesen sein. Der Datenschützer forderte daher eine strengere Rechts- und Fachaufsicht gegenüber dem Geheimdienst und setzt auf die Einsicht des Innenministers als obersten Dienstherrn. "Ministerium und Verfassungsschutz haben die Konsequenzen zu ziehen, dass sich ein solcher Verstoß nicht mehr wiederholt", so Schurig.
Eine strengere Aufsicht sagte Minister Albrecht Buttolo (CDU), der zur gleichen Pressekonferenz erschienen war, bereits zu - doch zu den Vorwürfen hielt er sich mit Äußerungen zurück. "Ich bin heute nicht bereit zu sagen, ob sich der Verfassungsschutz falsch verhalten hat", so Buttolo. Eine Stellungnahme werde erst verfasst, wenn auch die Parlamentarische Kontrollkommission zu einem Ergebnis gekommen sei. Generell stehe er aber zur strikten Trennung von Polizei und Verfassungsschutz, wie sie in der sächsischen Verfassung verankert ist, so Buttolo.
Hintergrund für den Fall ist die mehrfach geänderte Rechtslage. Während die eigenständige Beobachtung der OK durch den Verfassungsschutz seit 1992 verboten war, wurde sie im September 2003 durch ein neues Gesetz der CDU-Mehrheitsfraktion - auch auf politischen Druck aus westdeutschen Ländern - erlaubt. Nach einer Klage der Linkspartei erklärte der Verfassungsgerichtshof jedoch einzelne Gesetzesteile für verfassungswidrig. Die Beobachtung sei nur noch dann zulässig, wenn die OK die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährde. Davon könne jedoch bei vier der vorliegenden Fälle nicht die Rede sein. Es gehe allenfalls um schwere Kriminalität und Bestechung, die ohnehin von der Polizei verfolgt werde.
Trotzdem spitzelte der Verfassungsschutz nach dem Richterspruch zehn Monate weiter, bis ein neues Gesetz beschlossen wurde. Der Landtag wurde über die Vorfälle bereits vor einigen Tagen informiert - zum Entsetzen vieler Abgeordneter. Die Linkspartei sprach von Regierungskriminalität, die Grünen forderten die Offenlegung aller internen Abläufe. Und SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss betonte: "Der Verfassungsschutz ist dazu da, die Verfassung zu schützen, nicht sie zu brechen."
Sven Heitkamp