Freie Presse Chemnitz, 05.12.2006
Nolle: Nicht von CDU links überholen lassen
Vorstoß zum Arbeitslosengeld kommt der SPD ungelegen
Dresden. Die Diskussion in der CDU um eine verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer erreicht nun auch die sächsische SPD. Der Landtagsabgeordnete
Karl Nolle will beim Landesparteitag am Samstag in Oschatz für eine Kurskorrektur bei den Sozialdemokraten werben.
Nolle stützt sich bei seinem Vorstoß auf eine Initiative der bayerischen SPD sowie einen Beschluss der SPD-Bundestagsfraktion von Juni 2005, die gestaffelte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von bis zu 32 Monaten bis 31. Januar 2008 zu verlängern.
„Altere Arbeitnehmer dürfen, wenn sie nach einem erfüllten Leben ihren Arbeitsplatz verlieren, nicht allein gelassen werden." Diese Forderung des katholischen Bischofs Joachim Reinelt in einem „Freie Presse"-Interview macht sich Nolle zu eigen, um seiner Partei ins Gewissen zu reden. „Vielen Sozialdemokraten ist im Verlauf der sozialpolitischen Verwüstungen, die Schröders Agenda- und Hartz-IV-Politik hinterlassen hat, die Sensibilität für die soziale Gerechtigkeit verloren gegangen," schreibt Nolle den Genossen ins Stammbuch.
Trotz Hartz IV sei die Zahl der Arbeitslosen nicht gesunken, die Beschäftigungschancen seien schlechter geworden, macht Nolle geltend. Zahlen des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus Sachsen bestätigen das. Gegen den allgemeinen Trend ist die Arbeitslosigkeit von Älteren im Jahresvergleich sogar gestiegen. Derzeit sind im Freistaat 48.693 Frauen und Männer über 55 Jahre arbeitslos, davon 23.530 im Bereich von Hartz IV. „Wesentlichstes Hemmnis für die Beschäftigung älterer Mitarbeiter ist die mangelnde Einstellungsbereitschaft von Unternehmen", klagt DGB-Chef Hanjo Lucassen.
Seine Partei dürfe sich nicht von der CDU links überholen lassen, warnt SPD-Kritiker Nolle und hebt damit auf die Initiative des NRWMinisterpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) ab. Im Gegensatz zu Rüttgers spricht sich Nolle gegen eine „kostenneutrale" Finanzierung einer längeren Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für über 55-Jährige aus. Jüngere dürfen nicht gegen Altere ausgespielt werden, meint Nolle. Er plädiert dafür, die Mehrkosten durch eine weniger kräftige Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung zu finanzieren. Geplant ist derzeit eine Reduzierung von 6,5 auf 4,2 Prozent des Bruttoeinkommens. Der DGB verweist auf die hohen Überschüsse von rund zehn Milliarden Euro, die in diesem Jahr die Bundesagentur für Arbeit erwartet.
„Warum sollte für uns Sozialdemokraten im Herbst 2006 nicht mehr das gelten, was im Frühsommer 2005 unser damaliger Parteivorsitzende Franz Müntefering und die rot-grüne Bundestagsmehrheit für richtig hielten?", ruft Nolle der sächsischen SPD den damaligen Beschluss in Erinnerung. Damals lehnten CDU und CSU die vorgeschlagene Übergangsregelung, die bis zu 32 Monate Bezugsdauer er-n möglichen sollte, ab. Er habe Zweifel, ob seine Forderung mehrheitsfähig ist, sagt Nolle mit Blick auf den Parteitag in Oschatz. Bestätigung findet er bei Parteichef Thomas Jurk. Die SPD habe auf ihrem Bundesparteitag die Agenda 2010 als ein Gesamtkonzept beschlossen. „Es macht keinen Sinn, daraus einzelne Teile herauszubrechen", so Jurk.
von Hubert Kemper