Sächsische Zeitung, 15.02.2007
Harte Worte am Valentinstag
CDU und SPD sind sich einig, dass sie sich als Regierungspartner in dieser Legislaturperiode über viele Punkte nicht mehr einig werden.
Die Gesichter sprachen Bände. Als CDU-Fraktionschef Fritz Hähle und Kultusminister Steffen Flath (CDU) gestern als erste die Sitzung des Koalitionausschusses verließen, zogen beide nur mürrische Mienen. Ein paar nichtssagende Sätze, dann ging es zu den Dienstwagen. Viereinhalb Stunden hatte man zuvor gemeinsam mit Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) den drei SPD-Vertretern hinter verschlossenen Türen gegenübergesessen. Am Ende waren sich die Christdemokraten aber weder mit Wirtschaftsminister und Vizeregierungs-chef Thomas Jurk (SPD) noch mit SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss und Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) einig geworden.
Streit um das Energieprogramm
Der formale Anlass der kurzfristig einberufenen Krisenrunde war der Streit um ein neues Energieprogramm, mit dem Jurk neben der einheimischen Braunkohle künftig auch erneuerbare Energie stärker fördern will. Doch als Milbradt und Jurk danach vor die Presse traten, war schnell klar, es geht um viel mehr. Ungewohnt offen sprach Milbradt erstmals von wiederholten Abstimmungspannen und gravierenden Kommunikationsproblemen innerhalb seines schwarz-roten Kabinetts. Konflikte würden zu spät erkannt und zu zögerlich geklärt. Auch jetzt bei dem Energieprogramm sei einiges schiefgelaufen. Mehr „Warnlichter“, so Milbradt, seien notwendig, damit beide Regierungspartner künftig früher reagieren können, wenn die Auffassungen wieder einmal auseinander klaffen.
Dass die geplante Krisenstrategie aber Grenzen hat, zeigte der Ministerpräsident nur ein paar Minuten später. Ein neues Energieprogramm, so beschied er dem neben ihm sitzenden Jurk definitiv, werde es nicht geben. Dessen Papier soll nun bis zur nächsten Legislaturperiode auf Eis gelegt werden. Außerdem räumte Milbradt ein, dass es weitere Streitpunkte gibt, bei der er sich mit der SPD „grundsätzlich nicht einig werden wird“. Auch diese Themen will Milbradt alle bis zur Landtagswahl Ende 2009 vertagen. Der CDU-Chef hätte auch sagen können, er wartet einfach ab, bis die Sozialdemokraten eventuell nicht mehr im Regierungsboot sitzen.
Und Milbradt stichelte weiter. Fragen, wie lange die Koalition noch hält, ließ er demonstrativ unbeantwortet. Es reiche doch völlig aus, jetzt über 2007 und 2008 nachzudenken. „Man sollte sich nie zu viel vornehmen. Alles über diesen Zeitraum hinaus ist doch viel zu unpräzise.“
Vorsitzender einer „stolzen Partei“
Das war wenig taktvoll und eindeutig. Entsprechend barsch reagiert dann sein Stellvertreter im Kabinett. Er sei Landesvorsitzender einer „stolzen Partei“, die sich weder schikanieren noch demütigen lasse, keilte SPD-Chef Thomas Jurk zurück. Und wie beiläufig erklärte, dass er sein abgelehntes Energieprogramm noch am selben Tag ins Internet stellen wird. Motto: Wir werden ja noch sehen, was damit wird.
Dann ging er CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer scharf an. Der würde mit „Unterstellungen und wenig Wissen“ über das Programm reden. Da Kretschmer einer der engsten Vertrauten von Milbradt ist, galt die öffentliche Watsche gleich allen beiden. Und dann tat auch Jurk so, als wäre die aktuelle Koalition nicht alles im Leben eines SPD-Politikers. Jeder wisse doch, dass dies keine Liebesheirat war – „trotz des heutigen Valentinstages“. Zum Schluss wandte sich Jurk direkt an den Ministerpräsidenten. „Ich habe meine Position zum Thema Energie nicht geräumt.“ Milbradt konterte sofort. „Ich auch nicht.“
Das rot-schwarze Regierungsbündnis hat damit einen neuen Tiefpunkt erreicht. Und das ist keine Überraschung. Als Zweckbündnis waren die rot-schwarzen Partner Ende 2004 in die Regierungsehe auf Zeit gestartet. Seitdem kracht es immer wieder. Fünfmal traf sich allein in den vergangenen zwölf Monaten der Koalitionsausschuss, um zwischen den ungleichen Partnern zu schlichten.
Vor allem seit die großen Projekte – Doppelhaushalt, Verwaltungs- und Kreisreform sowie das neue Hochschulgesetz – angelaufen sind, scheint auch das kleinste strittige Staubkörnchen das Regierungsgetriebe stocken zu lassen. Die Abstände werden kürzer. Die Anlässe geringer. Längst spricht man auch in der Staatskanzlei scherzhaft-zynisch über die „zwei Regierungen von Sachsen“, die immer ungenierter den Karren in entgegengesetzte Richtungen ziehen.
Selbst die Neuregelung des Ladenschlusses geriet – verschleppt über Monate – zu einem ideologischen Grundsatzstreit, der dann doch nur mit einem Minimalkonsens endete. Und der überraschende Eklat im Kabinett um die Unternehmensförderung vor wenigen Wochen legte erneut die offensichtliche Unfähigkeit rechtzeitiger Klärung grundlegender Fragen offen. Zuletzt hatte die CDU vor allem mit ihrer harschen Kritik an der Ernennung von Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange durch die SPD für Empörung beim Koalitionspartner gesorgt. Üble Einmischung – kritisierte die SPD damals. Und seitdem muss der kleine Koalitionspartner immer wieder hart darum ringen, von der übermächtigen CDU auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden.
Die Union habe es immer noch nicht verkraftet, dass sie nicht mehr allein regiere, heißt es dagegen bei den Sozialdemokraten. Unterdessen nimmt Milbradt insgeheim bereits Anlauf, um in diesem Herbst mit ausreichend Unions-Rückenwind als CDU-Landeschef wiedergewählt zu werden. Zur Profilierung aber ist Streit allemal gut.
Das „Energieprogramm“ des Wirtschaftsministeriums ist im Internet unter www.energie-sachsen.de zu finden.
Von Gunnar Saft und Annette Binninger