SPIEGEL 26/2007, Seite 84, 24.06.2007
Finanzindustrie: Geschacher ums Politbüro. Rund um die WestLB entbrennt ein Übernahmestreit.
Kommt die Landesbank Baden-Württemberg zum Zuge? Oder wird gleich das größte Geldinstitut der Republik geschmiedet?
Es war noch eine halbe Stunde bis zum offiziellen Beginn des Sommerfestes. Die Band machte gerade ihren Soundcheck. Thomas Fischer, Chef der WestLB und als Präsident des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Gastgeber des Abends, stieg beherzt auf die Bühne. Dort nahm er sich ein Mikrofon und röhrte mit den Musikern in den noch menschenleeren Raum: "Summertime ... and the living is easy."
Für Fischer selbst dürfte der Sommer eher hart werden: Sein eigenes Institut wird von einem Skandal im Handel mit Aktien gebeutelt - und ist auch deshalb den Begehrlichkeiten von Konkurrenten ausgesetzt. Die WestLB, jahrzehntelang so etwas wie das Politbüro der Ruhr-Industrie, droht in fremde Hände zu fallen. Potentielle Käufer lauern sogar im eigenen, einst so beschaulichen öffentlich-rechtlichen Bankenlager.
"Jeder interessiert sich für jeden", sagte Fischer in seiner launigen Eröffnungsrede. Und es schwang so etwas wie Galgenhumor mit, als er anfügte: "Nur die Vatikanbank ist bislang noch nicht dabei."
Tatsächlich stehen die öffentlich-rechtlichen Banken vor tiefgreifenden Veränderungen. Grund ist die schwache Ertragslage der Institute. Ausgerechnet der gerade erst abgeschlossene Kauf der Berliner Landesbank (LBB) durch den Deutschen Sparkassen- und Giroverband für insgesamt rund 6,5 Milliarden Euro hat diese Schwäche noch verschärft.
Womöglich haben sich einige der über 400 Sparkassen, die für die Summe aufkommen müssen, sogar verhoben. Denn der Kaufpreis ist hoch, zu hoch, wie viele Experten glauben. Jene Bank, die vor fünf Jahren nur durch Milliardensubventionen des Landes Berlin vor der Pleite bewahrt werden konnte, ist selbst bei wohlwollender Betrachtung deutlich weniger wert. Und viele Sparkassendirektoren merken nun, dass die finanzielle Verpflichtung ihre normalen Geschäfte einschränken wird - und das bei ohnehin schwieriger Ertragslage.
Im Unterschied zur Deutschen Bank, die 26 Prozent Rendite auf ihr Kapital erwirtschaftet, sind es bei den Sparkassen unter 10 Prozent. Allen Vertretern der Bankengruppe ist deshalb klar: Die bisherige Kleinstaaterei mit 457 Sparkassen und 11 Landesbanken wird in den Untergang führen - der Sektor muss sich neu organisieren, um effizienter und somit profitabler zu werden.
Einige der führenden Köpfe aus dem Sparkassen- und Landesbankenlager haben sich daher einen geheimen Plan ausgedacht. Würde er verwirklicht, entstünde das wohl größte Institut der Republik.
Obendrein würde die große Lösung all die bisherigen Übernahmeversuche der Banken untereinander stoppen. So wurde just an dem Tag, an dem der Sparkassenverband den Zuschlag für das Berliner Institut erhielt, ruchbar, dass die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) eine Übernahme der einst so mächtigen WestLB erwägt - mit Rückendeckung ebenjenes Sparkassenverbandes. Die EU-Kommission witterte sofort illegale Absprachen.
Schickt sich hier eine Spätzle-Connection an, das deutsche Finanzwesen umzukrempeln? LBBW-Chef Siegfried Jaschinski sah jedenfalls plötzlich die Chance, durch den Schwächeanfall der WestLB in Düsseldorf zum Zuge zu kommen.
Die dortige CDU/FDP-Regierung erwägt schon im Koalitionsvertrag, ihren 38-Prozent-Anteil an der WestLB zu verkaufen. Finanzminister Helmut Linssen liebäugelte sogar mit einem ausländischen Erwerber. Das jedoch wollen die Sparkassen verhindern.
Die beiden nordrhein-westfälischen Sparkassenverbände besitzen ein Vorkaufsrecht auf die Landesanteile. Und missliebigen Bietern können sie obendrein das Leben schwermachen. Denn sollten sie ebenfalls Verkaufsbereitschaft signalisieren, würde das den Preis drücken. Grund: Mit dem Verkauf würden sie natürlich auch ihre Geschäftsverbindungen mit der WestLB aufkündigen. Ohne den Vertriebskanal über die Sparkassen aber wäre die Landesbank nur noch ein Torso.
Deshalb reagierten die Sparkassenverbände durchaus positiv auf die Avancen des LBBW-Chefs. Jaschinski plant eine Fusion seiner Bank mit der WestLB. Das neue Kreditinstitut, immerhin deutlich größer als die Commerzbank, bekäme einen neuen Namen. Die beiden Unternehmenszentralen in Düsseldorf und Stuttgart blieben erhalten. Zwar hätten fortan die Stuttgarter als deutlich größere und ertragsstärkere Bank das Sagen. Aber Jaschinski lockt damit, dass das Auslands- und Kapitalmarktgeschäft der vereinigten Bank bei der alten WestLB angesiedelt werden könnte. Zudem entstünde eine neue Sparkassenzentralbank, die die Hälfte aller deutschen Sparkassen mit leistungsfähigeren Produkten als bisher versorgen könnte.
Doch Sparkassen-Präsident Heinrich Haasis, WestLB-Boss Fischer und andere
Top-Landesbanker wie BayernLB-Chef Werner Schmidt sowie LBB-Lenker Hans-Jörg Vetter favorisieren ein anderes Modell. Das hätte den Charme, dass es allen regionalen Landesbank-Eigentümern wie auch den Instituten selbst erlauben würde, ihre Besitzstände zu wahren.
Die Herren wollen eine bundesweite Landesbanken-Holding gründen. Jedes Institut, das sich daran beteiligt, erhielte so viele Anteile, wie es Bankgeschäft einbringt. Die Holding übernähme dann all jene Aufgaben, für die jede einzelne Landesbank zu klein und oft auch zu finanzschwach ist - also das internationale Geschäft, das Kapitalmarktgeschäft, den Zahlungsverkehr oder das Auflegen von Fonds.
Der elegante Trick dabei: Unterhalb der Holding blieben die jeweiligen Landesbanken als Eigentümer - fast - so bestehen wie bisher. Die Struktur nähme Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der Landespolitiker. Zumindest säßen in diesem Modell alle Institute im gleichen Boot, niemand wäre Chef des anderen.
Auch künftig stünden die jeweiligen Landesbanken ihren Kunden zur Seite und würden die Produkte der Holding an die mittelständischen Unternehmen ihrer Region vertreiben. Die sollten, außer einem verbesserten Service bei internationalen Geschäften, gar nichts von den Veränderungen merken. Wenn sich BayernLB, WestLB und LBB sowie später, im Baukastenprinzip, weitere Institute aus dem öffentlichen Lager unter einem Holdingdach zusammenschlössen, entstünde mit einer Bilanzsumme von weit über einer Billion Euro die größte Bank der Republik.
Der geheime Plan ist in den Grundzügen bereits weit gediehen. Jedenfalls sind auch Vertreter wichtiger Eigentümer der betroffenen Institute involviert - darunter NRW-Finanzminister Linssen, der Chef des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe, Rolf Gerlach, sowie der Boss des Bayerischen Sparkassenverbandes, Siegfried Naser.
Entwicklungsmöglichkeiten für so ein Institut, das haben die Betroffenen längst eruiert, gäbe es genügend. Die Holding wäre zum Beispiel die ideale Plattform für eine zentrale Direktbank im öffentlichrechtlichen Lager. So einem Projekt haben sich die Sparkassenverbände bislang verweigert - aus Angst, sich selbst Konkurrenz zu machen.
Doch mittlerweile ist der Druck anderer Direktbanken wie etwa der ING Diba so überwältigend, dass selbst hartgesottene Traditionsbewahrer ihren Widerstand aufgegeben haben. Gerade im Kerngeschäft der Sparkassen, etwa bei Spareinlagen und den Konsumentenkrediten, laufen die Geschäfte äußerst enttäuschend.
Den Entschluss zur Gründung der Groß-Holding mit zumindest drei Instituten erwarten viele Vertreter des öffentlichen Bankensektors noch in diesem Jahr. Bis dahin allerdings müssen noch viele Fragen beantwortet werden.
Sicherlich wird es Streit geben um die Frage, wie jede einzelne Landesbank zu bewerten ist - doch der ist aus Sicht der Väter dieser Idee noch relativ einfach zu handhaben. Viel schwieriger werde es, den Eitelkeiten der Landespolitiker gerecht zu werden, versichert ein Beteiligter. Spätestens dann, wenn es um die Frage geht, wo die Holding ihren Sitz haben soll.
CHRISTOPH PAULY, WOLFGANG REUTER