Agenturen dpa, 16:52 Uhr, 03.07.2007
Sachsens Verfassungsschutz räumt Unregelmäßigkeiten und Verstöße ein
Dresden (dpa/sn) - Sachsens Verfassungsschutz hat «erhebliche Unregelmäßigkeiten» und «gravierende Verstöße» bei der umstrittenen Beobachtung der Organisierten Kriminalität eingeräumt. Der kürzlich ernannte neue Präsident der Behörde, Reinhard Boos, sagte am Dienstag in Dresden, es habe unter anderem Missstände beim Umgang mit Quellen gegeben. Dabei sei auch das Prinzip der Aktenwahrheit verletzt worden. Boos sprach von einer Lüge und dem Verschweigen von Tatsachen. Konkret gehe es dabei um einen aktiven Polizisten, der als Quelle in Akten geführt worden, aber als solcher nicht zu erkennen gewesen sei. Ein Teil von Akten, die Vorgänge in Leipzig betreffen, sei damit möglicherweise «vergiftet» und müsse neu bewertet werden.
Die Informationen des Polizisten stammen aus dessen Zeit als Ermittler in den 90er Jahren bis hin zur Jahrhundertwende, so Boos. Sie wurden 2006 zu den Akten genommen. «Dass beim Verfassungsschutz unter Teilnahme eines Polizeibeamten, der mit Bandenkriminalität zu tun hatte, Aktenmaterial zusammengetragen wurde, ist handwerklich nicht in Ordnung», sagte der amtierenden Innenstaatssekretär Klaus Fleischmann. Man könne auch sagen, dass sich das im Grenzbereich zu einem kriminellen Vorgehen bewegt habe.
Fleischmann räumte ein, dass die Inhalte der übermittelten Informationen richtig sein könnten. Das habe die Staatsanwaltschaft nun zu prüfen. Die Belastbarkeit der gesammelten Fakten sei jedoch durch die Vorgehensweise des Polizisten und des Mitarbeiters beim Verfassungsschutz manipuliert worden. «Ein Polizeibeamter, der sich in Quellenschutz begibt, um verdeckt zu ermitteln, verfehlt seinen Job.» Es gebe zudem den stillen Verdacht, dass nur belastendes, nicht aber entlastendes Material mitgeteilt wurde. Dem Polizisten und dem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes drohten disziplinarische Konsequenzen. Beide seien bislang nicht vom Dienst suspendiert.
Im Verfassungsschutz wird laut Boos weiter intensiv nach einem Leck gesucht. Informationen würden so gestreut, dass sie einen größtmöglichen Schaden anrichten könnten. «Da muss man einen Plan dahinter vermuten», sagte Boos. Trotz der Probleme sehe er keinerlei Anlass, die Arbeit des Verfassungsschutzes oder der Beobachtung der Organisierten Kriminalität insgesamt in Zweifel zu ziehen. «Ich hatte aber leider Anlass, in einem Bereich der Organisierten Kriminalität - bezogen auf einzelne Mitarbeiter - erhebliche Probleme festzustellen», sagte Boos, dessen Vorgänger Rainer Stock im Zuge der Korruptionsaffäre in das Innenministerium versetzt worden war.
Boos hatte unmittelbar nach seinem Amtsantritt Mitte Juni eine interne Untersuchung in der Behörde veranlasst, die zwischen 2003 und 2006 Informationen über die Organisierte Kriminalität gesammelt hatte. Die geheimen Akten sollen angeblich Verbindungen von Politik, Justiz und Polizei zu kriminellen Netzwerken belegen, so in Leipzig und im Vogtland. Ein Dossier sowie Teile von Akten zu einem von vier Komplexen wurden mittlerweile der Staatsanwaltschaft übergeben.
Weil die Informationen nicht zeitnah an die Staatsanwaltschaft gegangen und zudem Kopien von Strafakten beim Verfassungsschutz vernichtet worden waren, vermuten Sachsens Oppositionsparteien Vertuschungsversuche. Der Landtag will an diesem Mittwoch auf Antrag der Opposition über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beraten. Dieser ist jedoch umstritten, die Koalitionsfraktionen zweifeln die Verfassungsmäßigkeit an.
dpa st yysn z2 sb
031652 Jul 07