Berliner Zeitung, 10.07.2007
Milbradt soll Betrügereien gedeckt haben
In der Sachsen-Affäre belastet ein früherer Amtsleiter aus Leipzig den Ministerpräsidenten
DRESDEN. In der sächsischen Korruptionsaffäre sind schwere Vorwürfe gegen Ministerpräsident Georg Milbradt und seinen Amtsvorgänger Kurt Biedenkopf (beide CDU) öffentlich geworden. Der frühere Leiter des Leipziger Liegenschaftsamtes, Norbert Steiner, beschuldigt die Politiker, Betrügereien im Zusammenhang mit einem Behördenzentrum im Leipziger Stadtteil Paunsdorf gedeckt zu haben.
Im Oktober 1994 war das von dem Investor Heinz Barth - einem Biedenkopf-Freund - errichtete Paunsdorf-Center eröffnet worden. Neben einem Einkaufszentrum beherbergt die Einrichtung auch 35 000 Quadratmeter Büroflächen, die von insgesamt neun Behörden des Freistaates für 25 Jahre angemietet wurden. Die Mietverträge, die sich an den Vorgaben des Investors orientierten, waren von Biedenkopf und seinem damaligen Finanzminister Milbradt durchgesetzt worden. Der Landesrechnungshof rügte die Verträge 1996 als zu teuer. Die Affäre beschäftigte einen Untersuchungsausschuss des Landtages; auch die Justiz ermittelte, stellte das vom Generalstaatsanwalt verzögerte Verfahren schließlich jedoch wegen Verjährung ein.
Millionengrab Paunsdorf
Der mit Paunsdorf befasste Ex-Liegenschaftsamtsleiter Steiner hat sich nun in einem Gespräch dem Frankfurter Buchautor Jürgen Roth offenbart. Roth hat das Protokoll des Gesprächs ins Internet gestellt und angekündigt, dass der aus Bayern stammende Beamte auch zu einer uneingeschränkten Aussage vor dem kommenden Korruptions-Untersuchungsausschuss bereit sei.
Steiners Enthüllungen über Paunsdorf dürften vor allem Milbradt in die Bredouille bringen. So behauptet Steiner, er habe den seinerzeitigen Finanzminister mehrfach vor dem Paunsdorf-Projekt gewarnt, das sich inzwischen zu einem Millionengrab für den Freistaat entwickelt hat. Insbesondere der Zwangsumzug von Behörden in das Center habe er Milbradt gegenüber wiederholt als "Betrug" klassifiziert. Der Minister aber habe nicht mit sich reden lassen.
Als sich Steiner schließlich weigerte, die Mietverträge zu unterschreiben, sei er von Vorgesetzten zurechtgewiesen worden. Es gebe einen geheimen Kabinettsbeschluss, nachdem diese Mietverträge abgeschlossen werden müssten, habe ihm ein Spitzenbeamte aus Milbradts Finanzministerium gesagt. Steiner aber blieb hart. Die Mietverträge wurden schließlich von seinem Vorgesetzten gegengezeichnet, Steiner wurde abgelöst und 1995 nach Chemnitz versetzt.
Als er vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss zu diesen Fragen gehört wurde, verweigerte Steiner mehrfach die Aussage. Roth gegenüber begründete er dies mit Angst um sein Leben. "Ich habe Drohanrufe bekommen, zwei Morddrohungen. Wenn sie weiter den Mund aufmachen, werden wir sie umbringen", heißt es in dem jetzt veröffentlichten Protokoll.
André Hahn, designierter Fraktionschef der Linken im Dresdner Landtag, nimmt die Aussagen Steiners sehr ernst. "Wenn es stimmt, dass Milbradt frühzeitig vor den Machenschaften in Paunsdorf gewarnt wurde, dann muss man seine Verantwortlichkeit noch einmal genau überprüfen", sagte Hahn der Berliner Zeitung. Offenbar sei es die Sorge vor solchen Enthüllungen, die Milbradt in seinem vehementen und irrationalen Widerstand gegen einen Untersuchungsausschuss zur Korruptionsaffäre leiteten. "Der Ministerpräsident hat, wie es scheint, weit mehr zu verbergen", so Hahn.
Kommende Woche will der Landtag in einer Sondersitzung einen zweiten Anlauf unternehmen, um den Untersuchungsausschuss zu installieren. Der erste Versuch war letzte Woche am Widerstand von CDU und SPD gescheitert.
Andreas Förster