Karl Nolle, MdL

Berliner Zeitung, 12.07.2007

Sumpf im Netz

Teile des Verfassungsschutzdossiers über Korruption und organisierte Kriminalität in Sachsen kursieren jetzt im Internet. Die Namen der Verdächtigen aber sind ausgespart
 
BERLIN. Kaum ein Tag vergeht derzeit, an dem es keine neuen Schlagzeilen über den "Sachsen-Sumpf" gibt. Längst hat sich die Affäre um korrupte Politiker und Juristen, um kriminelle Netzwerke, Kindesmissbrauch und Immobilienschiebereien im Freistaat zu einer veritablen politischen Schlammschlacht entwickelt. Und nun ist eine neue Eskalationsstufe erreicht: Denn einige Seiten des umstrittenen Verfassungsschutzdossiers über kriminelle Vorgänge in Leipzig sind jetzt für jeden einsehbar: Die Abschrift eines am 14. Juli des Jahres 2006 verfassten "amtlich geheim gehalten(en)" Dokuments findet sich seit einigen Tagen im Internet.

In der auf der Internetseite "interpool.tv" veröffentlichten Aktenabschrift kann man etwa nachlesen, dass ein Leipziger Staatsanwalt Szenegrößen aus dem Rotlicht-Milieu vor Razzien gewarnt und im Diensttresor Kinderporno-Videos aufbewahrt haben soll. Zudem erfährt man, dass sich als honorig geltende Bürger aus Stadtverwaltung und Justizapparat "regelmäßig mit Kindern vergnügen" oder Dominas bevorzugen, die ihnen durch "bekannte Leipziger Rotlichtgrößen in speziellen Objekten zur Verfügung gestellt werden". Als "Kunden" werden zum Beispiel genannt ein Rechtsanwalt, ein Strafrichter ("Anfang/Mitte 40, dunkelblond, attraktive Erscheinung") und ein Staatsanwalt. Von einem körperbehinderten Staatsanwalt heißt es in dem Bericht, er sei beim Sex mit einer Minderjährigen im Bordell gefilmt worden, um ihn mit der Aufnahme erpressen zu können.

Pünktchen, Pünktchen

In einem weiteren Teil jener elf Seiten des Berichtes, der jetzt ins Internet gestellt wurde, ist zu lesen, dass Mitarbeiter der Leipziger Stadtverwaltung - "insbesondere aus der Führungsriege" - regelmäßig in einem stadtbekannten Bordell namens "Aphrodite" verkehrten oder sich die Prostituierten auch zu "Sexpartys im engen Mitarbeiterkreis" von Zuhältern diskret ins Rathaus haben schaffen lassen. Angeblich hätten diese Partys mit Duldung des Oberbürgermeisters stattgefunden.

Und dann geht es auch noch einmal um den Mordanschlag auf einen Immobilienmanager der Stadt. Die Ermittlungen seien damals von einem Staatsanwalt hintertrieben worden, der später zeitweise als Referent im sächsischen Justizministerium gearbeitet haben soll und mittlerweile als Richter beim Dresdner Amtsgericht tätig sei.

Viele Details, die jetzt im Netz nachzulesen sind, waren allerdings Journalisten schon seit einigen Wochen bekannt. Und damit auch den Zeitungslesern. Das größte Manko des nun veröffentlichten Berichts liegt aber in seiner Unvollständigkeit. Denn überall dort, wo Namen der verdächtigten Amtsträger und Politiker auftauchen, erscheinen nur kleine Pünktchen. Offenbar wollte der in Berlin ansässige Betreiber der Interpool-Seite, der 39-jährige Filmproduzent Fred Kowasch, teuren Schadenersatzprozessen aus dem Weg gehen.

Kowasch, der für Rückfragen gestern nicht erreichbar war, hat seine Firma "Interpool" 1997 gegründet. Das Unternehmen, das laut Eigenwerbung "engagierte Journalisten" beschäftigt, bietet sein Online-Magazin außer in Schrift auch im Videoformat an. Außerdem hat Interpool bereits mehrere Dokumentationen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen produziert und war 2004 für den Grimme-Preis in der Kategorie Online nominiert.

Peinlicher Lapsus

Bei der Veröffentlichung des Geheimdienstberichtes ist Kowasch allerdings ein peinlicher Lapsus unterlaufen. So war zunächst eine Seite aus dem Originalbericht als Faksimile ins Internet gestellt worden. Die darauf befindlichen handschriftlichen Anmerkungen der Verfassungsschützer, die das Dokument in den Händen hatten, waren zwar geschwärzt; dennoch lässt sich mit ein wenig Hintergrundwissen der Kreis derjenigen Personen deutlich einschränken, aus dem heraus das Papier an die Öffentlichkeit gelangt sein könnte. Tatsächlich ermittelt der Dresdner Verfassungsschutz inzwischen intern wegen Geheimnisverrats.

Inzwischen ist das Faksimile von der Internet-Seite verschwunden. Zu spät, sagt der Frankfurter Publizist Jürgen Roth. Aus seiner Sicht haben Kowasch und seine "engagierten Journalisten" grob fahrlässig gehandelt. "Aus reiner Sensationsgier haben sie den Bericht faksimiliert und damit Quellen in Gefahr gebracht. Das ist absolut unprofessionell", schimpft er.

Roth ist bislang der einzige Journalist, der bereits vor Monaten Einblick in einen Großteil der knapp 16 000 Seiten umfassenden Verfassungsschutz-Dokumentation über den "Sachsen-Sumpf" nehmen konnte. Von Zeit zu Zeit zitiert er in seinem eigenen Web-Blog aus den brisanten Akten. Kritiker werfen ihm deswegen Stimmungsmache vor und unterstellen, er wolle mit Gerüchten die Stimmung anheizen. Roth weist dies zurück. Er gebe nur polizeiliche und geheimdienstliche Erkenntnisse wieder und versachliche so die Diskussion.

Aus Roths Händen dürfte auch der nun im Internet verbreitete Report stammen. Der Publizist jedenfalls sagt, er habe eine Kopie dieses Berichts vor einiger Zeit vertraulich einem Dresdner Landtagsabgeordneten der Linken übergeben. Dieser wiederum soll den Bericht entgegen aller Absprachen an Journalisten weitergereicht haben. Dass das Papier jetzt so an die Öffentlichkeit gelange, sei - so Roth - "nicht nur ärgerlich, sondern auch schädlich".
Andreas Förster

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: