Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland ND, 28.07.2007

Sumpfblüten schwimmen oben

Sachsens jüngster Politskandal und die Verkommenheit neuer deutscher Demokratie
 
Am Albertinum in Dresden ist ein Spruch für die Ewigkeit eingemeißelt: »Dem Vaterland zu Zier und Ehr.« Dummerweise ist das von der anderen Elbseite nicht zu lesen. Dort residiert die Landesregierung, von hier aus überzieht ein Sumpf aus Korruption und Machtgier den ganzen Freistaat.

Erinnern Sie sich noch an Heinz Eggert? Nein, nicht Heinz Ehrhardt! Der war ja wirklich komisch. Heinz Eggert, einst ein Widerständler in der DDR, dann beim Neuen Forum, 1990 Überläufer zur CDU und einer der wichtigsten Parteibonzen in Sachsen, zwischen 1991 und 1995 sogar Innenminister des Freistaates. Nein, an den wollen Sie sich nicht erinnern? Weil Ihnen das Thema zu schmuddelig ist? Aber hallo! Nicht einmal die Staatsanwaltschaft wollte diese Gerüchte über Spielchen mit kleinen Jungs und männlichen Mitarbeitern oder die Polizeiakte über »Kokain-Konsum« des unionierten Spitzenmannes glauben. Und freilich auch nicht weiterverfolgen. Eggert ist juristisch unschuldig. Das ist mal festzuhalten! Und außerdem hat er jetzt Urlaub.

»Endlich Urlaub« schreibt er in seiner Kolumne für die »Dresdner Morgenpost«. Und was gehört zu einem richtigen Urlaub? Ein Krimi. Und nun kommt's. Eggert sagt: »Den schreibe ich mir selber.« (Nachzulesen auch unter http://fastien.wordpress.com.) »Reizwörter für die notwendige Spannung gibt es zur Genüge. Kriminelle Netzwerke, Sumpf von Skandalen, Kinderprostitution, Korruption, Amtsmissbrauch, organisierte Kriminalität, Rotlichtmilieu …« Und er führt auch die handelnden Personen auf: Politiker, Juristen, Polizisten, Journalisten, Unternehmer, Enthüllungsautoren, Mörder, Geheimdienstagenten, gewöhnliche Kriminelle.

Bravo, so liest man’s gern! Nun, etwas Sex wäre … Aber klar! Eggert lässt da ganz gewiss nichts aus, wenn er das ganze Gemenge mit ein wenig Geheimdienst verknüpft. Eine leitende Mitarbeiterin, »die mit einem Polizeiermittler den Frust auf unfähige West-Chefs teilt und die gemeinsam ermitteln«, kommt ins Spiel. Eggert hat sogar schon ein konkretes Bild von der Frau, sie wollte ihn dereinst anklagen, doch die Dresdner Staatskanzlei stellte sich auf ihre zarten Füße der Gerechtigkeit. Und als der Kommissar nicht mehr bei der Polizei geduldet war, »wirbt sie ihn als Quelle an«. Und natürlich, so suggeriert Eggert, tauschen sie im Bett nicht nur Dokumente aus. Man braucht noch ein paar mysteriöse Todesfälle, Überfälle, Drohungen, Kindesmissbrauch und Verleumdungen. Na, da ist Eggert ja Spezialist. Als ehemaliger Innenminister des Freistaates Sachsen.

Sujet voller Wahrheit

Komisch, warum hat man eigentlich in der Internet-Ahnengalerie des Ministeriums, in der so honorige Menschen wie Angela Merkels derzeitiger Kanzleramtsminister de Maiziere auftauchen, ausgerechnet Eggert als einzigen mit einem runden Bildausschnitt versehen? Gehen wir mal von der Zeichensprache der Taucher aus. Wenn die Zeigefinger und Daumen zusammenführen, heißt das wohl so viel wie »alles okay«. Eggert hat ein gutes Sujet abgeliefert. Und damit ist gar nicht »alles okay«!

Jürgen Roth ist Buchautor. Dass er dabei erfolgreich ist, stört so manchen. »Was da in Sachsen zusammengekommen ist, sind keine Einzelfälle mehr«, sagt Roth, zieht an seiner Pfeife, stößt dichte Rauchwolken aus, gerade so, als wollte er die Vernebelungsstrategie der Union – nicht nur in Sachsen – verdeutlichen. Seit 17 Jahren kann die CDU im Freistaat praktisch tun, was sie will und anderen verbieten, was sie nicht will. Im Grunde ist alles auf einen Begriff zurückzuführen, sagt Roth: »Geld. Es geht um Geld. Um sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern, missbraucht man politische Macht. Das geschieht in Sachsen modellhaft.«

Zu vieles ist einfach nicht aufgearbeitet in der neuen deutschen Demokratie, Baujahr 1990. Doch das betrifft nicht nur alte Seilschaften, die aus der SED-Zeit herübergeschwommen sind ans neue gesamtdeutsche Ufer. Der künftige Landespolizeipräsident von Sachsen war ein guter Volkspolizei-Major und natürlich in der SED. Und schwamm sofort zur CDU. Überliefert ist sein Satz: Die Bürgerrechtler werden untergehen, wir aber werden in jedem System gebraucht. Nicht weniger verhängnisvoll sind die Westimporte, die mit Dummheit und Arroganz Machtgefühle entwickelt und ausgelebt haben, sagt Roth. Da haben sich zwei Welten zu einer verwoben.

Obwohl er eine ganze Reihe aktueller Fälle auf seinem Schreibtisch gestapelt hat, verweist Roth auf die »Affäre Paunsdorf«. Die und der Ort liegen bei Leipzig. Die Wurzeln der Paunsdorf-Ereignisse reichen tief in die Zeit der Regierung Biedenkopf zurück, in der der heutige Landeschef Georg Milbradt (natürlich auch CDU) Finanzminister war. Am 8. Juli veröffentlichte Roth auf seiner Homepage den Inhalt eines Gesprächs, das er mit Norbert Steiner, dem ehemaligen Leiter des Leipziger Liegenschaftsamtes, führte. Steiner hatte 2001 vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss des Landtags mehrfach die Aussage verweigert. Aus gutem Grund, wie es scheint: Morddrohungen hatten den bayerischen Beamten eingeschüchtert. Mehrfach hatte er versucht, die millionenschwere Abzocke zu verhindern. Doch da hatte er seine Hoffnungen auf den falschen Mann gesetzt. Eben auf Milbradt. Und der Untersuchungsausschuss? »Der war so, wie das ganze Parlament, eine lahme Ente«, sagt Roth. Und noch Schlimmeres behauptet er: Auch die meisten Medien waren so willig und ferngesteuert, dass von einer Kontrolle der Partei-Polit-Beamten keine Rede sein konnte.

Der Untersuchungsausschuss war auch deshalb sinnlos, weil im Finanzministerium und in der Staatskanzlei angeblich keine aussagekräftigen Akten zum Fall Paunsdorf-Center gefunden werden konnten. Dass der Kölner Unternehmer Heinz Barth seine freundschaftlichen Beziehungen zum damaligen Ministerpräsidenten Biedenkopf spielen ließ, belegt allerdings ein Schriftstück von 1990. Darin bittet Barth seinen Freund, ihm beim preiswerten Landerwerb behilflich zu sein, um weitere sinnlos große Einkaufscenter wie in Günthersdorf und Seehausen zu verhindern. Durch ein eigenes Einkaufscenter, eben jenes umstrittene, zu dem 1992 der erste Spatenstich erfolgte und das 1994 mit 70 000 Quadratmetern Verkaufsfläche eröffnet wurde.

Heute hat es über 80 000 Quadratmeter, nicht zu vergessen die Verwaltungsbauten, die Barth errichtete und die zum eigentlichen Skandal wurden. Denn um die zu füllen, ließ die sächsische Landesregierung innerstädtisch solide untergebrachte Behörden und Einrichtungen nach Paunsdorf umziehen. Besonderer Kritikpunkt: Ein Mietzins von knapp 24 DM, der selbst für 1996 exorbitant hoch war und vom Freistaat für 30 Jahre garantiert wurde. In all dem Morast suhlen sich auch Banken.

Einfach schmuddelig

Sie müssen sich den Platz teilen mit der willigen Justiz des Freistaates. Die wiederum im engen Geflecht ist mit der Polizei. »Irgendwie hat jeder von jedem profitiert«, sagt Roth und grenzt das dann ein: »Vorausgesetzt, man hat mitgemacht im System.« Alle anderen, beispielsweise Georg Wehling, das ist jener Kommissar, den Eggert »seiner« Staatsanwältin und späteren OK-Ermittlerin des Verfassungsschutzes per Kolumne »ins Bett gelegt hat«, wurden gemobbt. Was meint: Der Polizist aus dem 26. Kommissariat war einer von den Guten. Doch irgendwann wusste er zu viel über das Rotlichtmilieu, also auch über jene, die sich dort auf die vielfältigste und zumeist widerwärtigste Art Befriedigung verschafften. Nur fassen konnte Wehling die Hintermänner nie. Kein Wunder, denn die Betreiber von Kinderbordellen und ähnlichen »Einrichtungen« wurden bei Gefahr informiert und gedeckt durch jemanden aus der Staatsanwaltschaft. Und da sogar ein Richter im Kinderpuff verkehrte, der dann auch noch über dessen Betreiber zu urteilen hatte, war der Kreislauf der Vertuschung geschlossen. Das Ministerium in Dresden legte den Deckel auf den Topf, in dem kriminelle Kumpanei weiter köchelte.

Es sei geradezu widerlich, wie Fälle von Kinder- und Jugendprostitution »in der Öffentlichkeit weggedrückt werden«. Auch zu viele Medien winden sich, so beklagt Roth, um klare Berichterstattung herum. So als ob nicht gerade die Kinder besonderen Schutz brauchten. Mag sein, manch Kollege kann nicht glauben, was da geschehen sein soll, doch um sich Gewissheit zu verschaffen, müsste man recherchieren. Und sich womöglich in gehobenen Kreisen unbeliebt machen.

Roth kann aber auch mit anderen Beispielen dienen. Da gebe es, so sagt er, einen in vielerlei Hinsicht ziemlich einflussreichen Kampfsportlehrer in Leipzig, der seit 2002 mehrfach des sexuellen Missbrauchs und der Nötigung von jungen Mädchen bezichtigt wurde. Die Verfahren wurden regelmäßig, und zwar von immer derselben Staatsanwaltschaft, eingestellt. »Es geht dabei gar nicht vordringlich um 15 Jahre oder mehr, die der mutmaßliche Täter verdient hätte. Es geht um das Leid der Betroffenen.« Es gibt eine Aussage einer Mutter, deren beide Kinder missbraucht wurden. Im Justizministerium sagte ein Ministerialrat ihr ins Gesicht: »Zu einer Vergewaltigung gehören ja zwei …«

Das war nicht im Mittelalter, das war 2006. Wohin soll man noch gehen, um als Bürger Schutz und Gerechtigkeit zu erbitten? Doch die Geschichte ging weiter: Die beiden Kinder sind weiter bedroht worden. Sie wurden unter Polizeischutz zur Schule gebracht, hatten dennoch Angst, versäumten die Unterricht. »Und dann kommt das >Sächsische< hinzu: Das Jugendamt von Leipzig greift ein – und will die Kinder >wegholen<.«

Neben Dresden und Leipzig, wo besonders die Schieberei mit Immobilien blüht, die bisweilen auch schon mit Pistolen ausgetragen wurde, ist Plauen ein Ort, an dem sich – dank politischer Strukturen – Verbrechen auszahlen. Alte kriminelle und durchaus staatlich zuzuordnende DDR-Seilschaften haben sich dort bestens mit den neuen Herren verbunden. Und weil wir in der Welt der Globalisierung leben, dehnen sich kriminelle Hefeteige über Grenzen aus. Tschechen und Kinderprostitution ist nur ein Thema bei dem sich verantwortlichen Staatsdiener grenzüberschreitend darauf verständigt haben, nichts gegen das System zu unternehmen. Weil sie selbst Teil des Systems sind?

»Häkeldamen«-Ärger

Statt sich in Sachsen darüber aufzuregen, dass solche kriminellen Verhältnisse Teil der Staatspolitik sind, ereifert man sich darüber, dass Roth in dem Buch geschrieben hat: Plauen liegt »im fernsten Osten«. Mehr noch. Der Autor aus Frankfurt (Main) behauptete gar, dass Plauen eine Stadt sei, die »allenfalls bei häkelnden Damen bekannt ist«. Pfui Spinne, wie kann man nur die weltbekannte Plauener Spitze so niedermachen?! Autor Roth teilte Impressionen mit und versuchte dabei charmant gegen Stadt und Leute zu sein.

Mag sein, dass der Charme nicht so ankam. Schlimmer jedoch ist, dass es in Plauen so weiter geht, als sei dort nicht das Verbrechen an der Macht. Nur bisweilen wechseln Personen, beispielsweise dann, wenn sich der Kripochef erschießt. Im mini-provinziellen Bereich läuft da ab, was im Freistaat die Regel ist. Dreckige Geschäfte mit Kinderprostitution sind ebenso an der Tagesordnung wie die Verquickung von örtlichen Baulöwen mit kleinen Gangstern. Bei alledem halten Gesetzeshüter die Hand auf und die Augen geschlossen.

Wie bitte, alles Lüge? Okay, Jürgen Roth wäre der letzte, der einer Neuauflage seiner »Ermittlungen unerwünscht« nicht noch ein recht-schaffendes Kapitel anfügen wollte. Derzeit schaut es nicht so aus, als sei das notwendig: »Noch nicht einmal ansatzweise beschäftigt man sich mit den Inhalten, mit dem Vorwurf der kriminellen Machenschaften unter dem politischen Zelt der CDU.« Doch es geht um mehr: Dieses »Mehr« darf nicht stattfinden, lautet der Befehl aus Berlin. Und nicht nur, weil da zwei Sumpfblüten – Verkehrsminister Tiefensee (SPD), einst OB in Leipzig, und Kanzleramtsminister de Maiziere (CDU), einst Sachsens Innenchef – unabkömmlich sind.^

Derweil macht Heinz Eggert Urlaub. Und stellt Strafanzeige. Ausgerechnet gegen den Chef des Untersuchungsausschusses, Klaus Bartl. Der kommt aus der Linkspartei. Grund: »Üble Nachrede« und »Verleumdung«. Eggerts Krimi liest sich so, als sei er aus dem Leben gegriffen.
Von René Heilig

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: