DNN/LVZ, 04.09.2007
„Ein Sachse als Regierungschef kann nicht schaden“
Politikprofessor Jesse über die Chancen von Schwarz-Rot und mögliche Milbradt-Nachfolge
Leipzig/Chemnitz. Der Politikprofessor Eckhard Jesse von der TU Chemnitz wirft Sachsens Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) schlechtes Krisenmanagement vor. Zudem sollte ein Regierungschef die Mentalität seiner Landsleute verkörpern.
Frage: Es kracht derzeit in der sächsischen Koalition aus CDU und SPD. Wird die Regierung zerbrechen?
Eckhard Jesse: Das ist eine ernsthafte Krise, und es gibt zwei Möglichkeiten, aus ihr herauszukommen. Erstens: Ministerpräsident Milbradt tritt zusammen mit Union und SPD die Flucht nach vorn an und versucht, die Staatsgeschäfte wieder fest in die Hand zu nehmen. Dazu gehört eine grundlegende Kabinettsumbildung. Oder zweitens: Die Koalition bricht auseinander. Was nicht passieren darf, ist ein Weiterwursteln wie bisher.
Was verstehen Sie unter umfassender Kabinettsumbildung?
Es ist nicht damit getan, den Finanzminister auszuwechseln. Auch Innenminister Buttolo muss seinen Platz räumen.
Wären Neuwahlen der beste Weg?
Bleibt es so wie jetzt, hat die Fortführung der Koalition keinen Zweck mehr. Wenn sich CDU und SPD im Interesse des Freistaates zusammenreißen und nichts unter den Tisch kehren, besteht keine Notwendigkeit, neu zu wählen oder den Ministerpräsidenten auszuwechseln. Die vergangenen Monate vermitteln ein schlimmes Bild. Ein Skandal, der keiner war, wie der vermeintliche Korruptionssumpf, wird von Milbradt nicht geklärt. Alles brodelt weiter vor sich hin. Und ein Skandal, der einer ist, wie die SachsenLB-Affäre, wird nicht als solcher benannt. Milbradt war ein ausgezeichneter Finanzminister, ist ein durchschnittlicher Ministerpräsident, aber ein schlechter Kommunikator.
Also miserables Krisenmanagement?
Ja, es ist ganz stark auch eine Kommunikationskrise. Milbradt schafft es nicht, aus den Schlagzeilen zu kommen und Ruhe reinzubringen. Das hindert ihn auch bei seiner Regierungsarbeit.
Ist aber nur er dafür verantwortlich?
Nicht nur. Der Stab um Milbradt ist offenbar nicht in der Lage, die Situation so darzustellen, dass die Sachsen sagen können: Es geht mit uns aufwärts. Denn die hiesige Lage ist besser als die Wahrnehmung der Bürger. Er muss kein Showmaster sein, aber Optimismus verkörpern.
Unter der Hand werden schon mögliche Milbradt-Nachfolger gehandelt. Einer davon ist Kultusminister Flath, weil einige sagen, jetzt müsse mal ein Sachse ran. Andere bringen Kanzleramtschef de Maiziére als Fachmann ins Spiel. Was halten Sie davon?
Eine solche Diskussion halte ich gegenwärtig für überflüssig. Entscheidend ist jetzt, wie viele Stimmen Milbradt bei der Wiederwahl als CDU-Vorsitzender auf dem Landsparteitag bekommt. Sollten es – ohne einen Gegenkandidaten – weniger als 60 Prozent sein, sind seine Tage als Ministerpräsident gezählt.
Und was dann?
Nun, allgemein ist in jedem Bundesland ein Ministerpräsident, der dort gebürtig ist, in Brandenburg ein Brandenburger oder in Bayern ein Bayer, willkommen. Das dürfte gerade in Sachsen, dem Land der friedlichen Revolution, nicht anders sein. Ein Sachse als Regierungschef kann nicht schaden, vorausgesetzt, er hat die Fähigkeiten dazu. Für den Zusammenhalt des Freistaates brauchen wir einen Repräsentanten, der es versteht, die Mentalität der Landsleute so zu verkörpern, dass sie sich mit dem Land identifizieren.
Wie könnte eine neue Regierung in Sachsen aussehen?
Sollte die Koalition bis 2009 halten, sehe ich Chancen für den Fortbestand von Schwarz-Rot. Wenn nicht, dann könnte Sachsen das erste Bundesland sein, in dem CDU, FDP und Grüne miteinander regieren. Interview: Anita Kecke