DNN/LVZ, 15.09.2007
„Zwischentiefs gab es auch unter Biedenkopf“
CDU-Landeschef Milbradt stellt sich heute der CDU-Basis – und will Vertrauen zurückgewinnen
Dresden. Die CDU hält heute ihren mit Spannung erwarteten Wahlparteitag in Mittweida ab. Ministerpräsident und Landeschef Georg Milbradt äußert sich im Interview zu den Krisen der vergangenen Monate – von der Aktenaffäre bis zum Landesbank-Debakel.
Frage: Exakt vor sechs Jahren, am 15. September 2001, wurden Sie zum CDU-Landeschef gewählt, nach heftigen Querelen, gegen den Widerstand von Kurt Biedenkopf. Jetzt gehen Sie wieder durch ein tiefes Tal, und erneut gibt es einen CDU-Wahlparteitag. Halten Sie das für ein gutes Omen?
Georg Milbradt: Der Termin ist reiner Zufall. Ich glaube auch nicht, dass Sachsen durch ein tiefes Tal geht. Wir können hervorragende Daten vorweisen, in der wirtschaftlichen Entwicklung, beim Rückgang der Arbeitslosigkeit und in der Bildungspolitik. Das ist die objektive Lage. Im Moment haben wir einen Vertrauensverlust. Das macht mir Sorge. Denn es kommt in der Politik weniger darauf an, was die Realität ist, sondern was die Leute für die Realität halten.
Bei der letzten Wahl zum Parteichef haben Sie fast 77 Prozent erreicht. Erwarten Sie jetzt – Stichwort Vertrauensverlust – einen Denkzettel?
Das muss jeder Delegierte selber entscheiden.
Woran machen Sie das fest, was Sie Vertrauensverlust nennen?
Umfragen bestätigen, dass ein Misstrauen gegenüber den Institutionen des Staates besteht, gegenüber Staatsanwälten, Richtern und Polizei. Es ist der Eindruck entstanden, in Sachsen hätten sich Korruption, Prostitution und die Mafia breitmachen können. Gott sei Dank ist das aber nicht der Fall. Bei der so genannten Korruptionsaffäre handelt es sich nach jetzigem Erkenntnisstand um Gerüchte, um eine phantasievolle Mischung aus Dichtung und Wahrheit.
Wie wollen Sie dem begegnen?
Indem wir auf die Differenz hinweisen zwischen dem, was ist, und dem, was die Leute denken. Wir müssen klarmachen: Sachsen ist ein sicheres Land, mit geringer Kriminalität. Es wurde ein Fall von Korruption beim Bau der Autobahn 72 aufgedeckt, und hier ist es auch zu Anklagen und Verurteilungen gekommen. Die Institutionen des Staates funktionieren also.
Schließen Sie weitere Aktivitäten der Organisierten Kriminalität aus?
Es gibt immer Kriminalität. Das Entscheidende aber ist, dass dies wirkungsvoll bekämpft wird. Das machen wir erfolgreich: die Zahl der Straftaten geht zurück, die Aufklärungsquote steigt. In der so genannten Korruptionsaffäre aber wurde der Eindruck vermittelt, dass Verbrechen geduldet oder sogar von oben gefördert wurden. Dieser Vorwurf, vor allem von der Linken, ist widerlegt. Die zweite Frage ist, wie es dazu kommen konnte, dass Geheiminformationen des Verfassungsschutzes an die Öffentlichkeit gelangt sind. Hier gab es erhebliche Mängel im Landesamt.
Das ist ebenfalls wenig beruhigend. Denn die Tatsache, dass ein Landesamt für Verfassungsschutz aus dem Ruder läuft, kann nicht gerade als sicherheitsbildende Maßnahme gelten ...
Das ist klar und muss abgestellt werden. Dafür gibt es unabhängige Prüfgruppen und deshalb wurden im Landesamt alle betroffenen Personen ausgetauscht. Wir müssen dafür sorgen, dass ein Geheimdienst sich nicht wie die Staatssicherheit entwickelt.
Der Leitende Staatsanwalt sieht in den Akten viel „heiße Luft“. Der Vorsitzende im Untersuchungsausschuss, Klaus Bartl von den Linken, hat ihm daraufhin vorgeworfen, er habe Ihnen damit eine „bestellte Morgengabe zum bevorstehenden Parteitag“ geliefert. Sehen Sie das auch so?
Das ist eine Unverschämtheit. Wenn Staatsanwälte die Akten prüfen und nichts Verwertbares finden, ist das eine Tatsache, auch wenn sie Herrn Bartl nicht passt. Hier zeigt sich das, was den Linken umtreibt. Der ehemalige Staatsanwalt der DDR und Abteilungsleiter Staat und Recht der SED-Bezirkleitung in Karl-Marx-Stadt will sich an die Stelle der Institutionen des Rechtsstaats setzen. Das kann man nicht zulassen.
Nun gibt es nicht nur die Aktenaffäre, sondern auch das Debakel um die andesbank. Ihnen wird vorgehalten, Sie wüssten mehr, als Sie zugeben wollten. ie gut waren Sie informiert?
Die Details der Bankgeschäfte kenne ich nicht, das ist auch gar nicht meine Aufgabe. Dafür gibt es andere Institutionen. Der Ministerpräsident interessiert sich natürlich für grundsätzliche Vorgänge, mehr aber nicht.
Wer trägt die Verantwortung?
Erst mal müssen wir klären, wie es dazu kommen konnte. Ob bei den Geschäftsmodellen etwas nicht gestimmt, das Risikomanagement nicht funktioniert hat und wer dafür neben dem Vorstand verantwortlich ist. Erst wenn das klar ist, können wir weitersehen.
Sie haben nach dem Bankendebakel eine Kabinettsumbildung angekündigt. Das signalisiert, dass Sie einen Erfrischungsprozess für notwenig halten.
Das sollte man nicht überinterpretieren. In der zweiten Hälfte der Legislatur stellt sich immer die Frage, mit welcher Mannschaft man in den Wahlkampf ziehen will. Da ist eine Umstellung nichts Ungewöhnliches.
Haben Sie schon mit Betroffenen gesprochen?
Ich werde nach dem Parteitag eine Reihe von Gesprächen führen und dann entscheiden.
Auch in der Union gibt es Stimmen, die sagen, der Zustand der CDU sei nicht der allerbeste. Was ist die Botschaft, die Sie den Delegierten mit auf den Weg geben wollen?
Dass ein solches Dauerfeuer über Monate auch Wirkung bei den Parteimitgliedern hinterlässt, ist nicht verwunderlich. Jetzt kommt es darauf an, wieder Vertrauen herzustellen. Dabei muss auch über jene Bereiche geredet werden, in denen etwas schief gelaufen ist.
Die Meinungsumfragen sind ernüchternd, die absolute Mehrheit liegt offenbar in weiter Ferne. Wie wollen Sie den Delegierten Hoffnung machen?
Solche Zwischentiefs in Umfragen hat es auch unter Kurt Biedenkopf gegeben. Das hat uns nicht davon abgehalten, absolute Mehrheiten zu erreichen. Bei den Wählern im Osten gibt es keine feste Parteibindung, die Wahlentscheidung ist sehr auf die Situation bezogen. Und die kann sich schnell wieder ändern. Deshalb sind die jetzigen Umfragen ein Warnschuss. Es ist aber keine Lage, die man nicht bewältigen kann.
Um die Koalition mit der SPD steht es ebenfalls nicht gut ...
In jeder Ehe gibt es mal Krach, damit geht man aber nicht zu den Nachbarn und erzählt alles. Die Probleme im Bündnis sind ja dadurch entstanden, dass die Auseinandersetzungen immer öffentlich geführt wurden.
Wie viel Karl Nolle verträgt die CDU?
Natürlich ist das Bestandteil des Problems. Die SPD muss sich entscheiden, ob sie regieren oder Opposition sein möchte. Denn es hat sich gezeigt, dass Streit nicht dazu führt, dass sich der eine gegenüber dem anderen profilieren konnte. Profitiert haben vielmehr die Extreme rechts und links.
Wie wollen Sie das ändern?
Wir müssen klarstellen, wo der politische Hauptgegner steht. Für die SPD kann das nur die Linke sein. Ähnliches gilt auch für uns. Unser Hauptgegner ist nicht der Koalitionspartner, sondern die Linke – und natürlich die NPD.
Fehlt der CDU ein wertkonservativer Flügel, der potenzielle NPD-Wähler an die Union bindet?
In der CDU gibt es unterschiedliche Strömungen. Das ist ja der Vorteil einer Volkspartei. Wir dürfen die Themen Heimat, Sicherheit, Vaterland nicht den Rechtsextremen überlassen. Das sind Leute, die damit Schindluder treiben und einer Ideologie nachlaufen, die uns schon mal ins Verderben geführt hat.
Gast auf dem Parteitag ist Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Würden Sie beim Thema Terrorabwehr dafür plädieren, den gesetzlichen Rahmen zu erweitern und Online-Durchsuchung ohne richterliche Anordnung zulassen?
Wir müssen das Vorgehen der Sicherheitsbehörden den neuen Formen von Verbrechen anpassen. Das gilt für die DNA-Analyse, für die Verwendung von Maut-Daten und auch für die Online-Durchsuchung. Hier ist auf Bundesebene das Ob aber gar nicht mehr strittig, sondern nur noch das Wie.
Sollten Leute, die sich in Terror-Camps ausbilden lassen, bestraft werden?
Wir sollten hier neue Straftatbestände einführen. Wer ein Terrorcamp besucht, hat seine Gründe, und das können wir nicht dulden.
Wenn Sie als Landesvorsitzender mit einer Mehrheit wiedergewählt würden, die Sie als hinreichend betrachten, wäre das auch eine Vorentscheidung für die Spitzenkandidatur 2009?
Darüber entscheidet ein Parteitag 2008. Aber klar ist, dass eine erfolgreiche Regierungspolitik eine gewisse Vorentscheidung ist.
Sie wollen also antreten?
Wenn die Umstände so sind und die Partei es will, ja.
Interview: Bernd Hilder, Jürgen Kochinke