Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 17:12 Uhr, 20.09.2007

"Die Banken wissen gar nicht, wie tief sie in der Krise stecken"

Erst die IKB, dann die SachsenLB, jetzt die Deutsche Bank: Wie schwer erwischt die weltweite Finanzkrise die deutschen Geldinstitute? Die Banken selbst versuchen zu beruhigen - doch Experten erwarten noch weitere Horrormeldungen.
 
Erst die IKB, dann die SachsenLB, jetzt die Deutsche Bank: Wie schwer erwischt die weltweite Finanzkrise die deutschen Geldinstitute? Die Banken selbst versuchen zu beruhigen - doch Experten erwarten noch weitere Horrormeldungen.

Hamburg - Es fing alles ganz harmlos an. Im Frühjahr tauchten erste Gerüchte auf, wonach es Probleme auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt geben könnte. An eine weltweite Finanzkrise dachte damals keiner. Dann gerieten die ersten Baufinanzierer in Schwierigkeiten. Das machte die Sache schon komplizierter, aber das Problem blieb immerhin auf die USA beschränkt.

Doch dann ging es Schlag auf Schlag. Erst große amerikanische Hedgefonds, dann die deutsche Mittelstandsbank IKB, die SachsenLB, schließlich der britische Immobilienfinanzierer Northern Rock . Was mit Zahlungsschwierigkeiten amerikanischer Hauskäufer angefangen hatte, wuchs sich zu einer globalen Abwärtsspirale für die Finanzmärkte aus.

Heute nun der Schock: In Deutschland stecken nicht nur Landesbanken und kleinere Institute in der Krise - selbst der Branchenprimus muss Schwierigkeiten einräumen. "Auch die Deutsche Bank hat Fehler gemacht", sagte Konzernchef Josef Ackermann gestern Abend bei der Aufzeichnung der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". Problematisch seien insgesamt Kredite in Höhe von 29 Milliarden Euro.

Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Schwierigkeiten der Deutschen Bank als übersichtlich. Doch die psychologische Wirkung bleibt verheerend: Wenn sogar Muster-Banker Ackermann unter der aktuellen Lage leidet - wie schlecht muss es dann erst den anderen gehen?

Einen Vorgeschmack lieferte der Vorstandschef der US-Investmentbank Goldman Sachs, Lloyd Blankfein: Seiner Meinung nach ist die Finanzkrise noch nicht überwunden. "Die Märkte haben eine gewaltige Bereinigung erlebt, und ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es noch zu weiteren Anpassungen kommt", sagte Blankfein dem "manager magazin".

Auch in Deutschland stehen weitere Belastungen an. Die neue Muttergesellschaft der SachsenLB, die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), stellte heute einer Zweckgesellschaft der sächsischen Landesbank eine Kreditlinie über 90 Tage zur Verfügung. Kurzfristige Verbindlichkeiten könnten so erfüllt werden. Was sich erst einmal gut anhört, ist faktisch ein Eingeständnis der vorhandenen Probleme. Ohne die Finanzspritze hätte die SachsenLB Wertpapiere mit so hohen Verlusten verkaufen müssen, dass die Investoren keine Rückzahlung erhalten hätten.

Doch wie groß ist die Krise insgesamt? Die Meinungen gehen in dieser Frage weit auseinander. Nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden der DZ Bank, Wolfgang Kirsch, wird das Kreditgewerbe aus der derzeitigen Krise sogar gestärkt hervorgehen. Phasen wie die jetzige trügen zur Marktbereinigung bei, sagte Kirsch der "Börsen-Zeitung". Banken, die nicht über ein tragfähiges Kundengeschäft verfügten und deshalb verstärkt Risiko suchten, müssten unter Umständen aus dem Markt ausscheiden. "Das macht den gesamten Sektor aber nicht krank, es macht ihn eher gesünder."

"Die Bankvorstände verstehen gar nicht, was sie da kaufen"

In einem Punkt sind sich die Fachleute dagegen einig: Die ganze Wahrheit dürfte längst nicht ans Licht gekommen sein. Oft hat das einen einfachen Grund: "Zum Teil wissen die Banken gar nicht, wie tief sie drinnen stecken", sagt Wim Kösters, Vorstandsmitglied des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), zu SPIEGEL ONLINE. "Das ist der eigentliche Kern der Krise: Die Intransparenz verunsichert die Marktteilnehmer."

In den vergangenen Monaten wurden milliardenschwere Kreditpakete von einer Bank zur nächsten weitergereicht. Erst im Nachhinein wurde deutlich, mit welchen Risiken die Kredite behaftet sind. "Die Produkte haben einen solchen Komplexitätsgrad, dass das normale Ökonomen gar nicht verstehen", sagt Kösters. Nicht selten hätten die Banken von den Universitäten Physiker abgeworben, um die anspruchsvollen Rechenmodelle zu erstellen. "Die Bankvorstände selbst verstehen oft gar nicht, was sie da kaufen und verkaufen."

Wie groß der Schaden wirklich ist, sei deshalb nicht abzuschätzen. Das RWI geht in seinem Konjunkturbericht von weltweiten Schäden durch die Hypothekenkrise von 100 bis 200 Milliarden Dollar aus. Nur: Wo der Schaden entsteht, weiß keiner. "Im Extremfall haben die Amerikaner alle problematischen Kredite an die Europäer weitergereicht", sagt Kösters. "Dann ist klar, wo die Schwierigkeiten auftreten."


Bei der Deutschen Bank selbst versteht man die Aufregung nicht. Das Gespräch bei "Maybrit Illner" sei doch gerade dazu da gewesen, um die Märkte zu beruhigen. "Herr Dr. Ackermann hat betont, dass die Konsequenzen für die Deutsche Bank gering sind", sagt ein Sprecher SPIEGEL ONLINE. "Er wollte keine zusätzlichen Korrekturen andeuten."

Ein Verlust von 29 Milliarden Euro drohe dem Institut in keinem Fall. In dieser Höhe seien lediglich Kreditzusagen für die nächsten neun Monate gemacht worden - vor allem an Private-Equity-Firmen.

Allerdings: Den Wert dieser Kredite schätzt die Deutsche Bank kritischer ein als bisher. Ursprünglich war das Institut davon ausgegangen, die Kredite weiter reichen zu können. Früher lief das auch problemlos: Der Kunde bekam einen Kredit in Höhe von 100 Euro, und die Bank konnte die Forderung am Markt für 101 Euro weiter verkaufen. Seit der Hypothekenkrise ist dieser Markt jedoch zusammengebrochen. Egal, wie gut die Bonität des Schuldners ist - kaum jemand möchte mehr Kreditpakete aus dritter Hand erwerben.

"Das tut weh"

Entsprechend deutlich sinkt der Preis: Einen Kredit im Nennwert von 100 Euro kriegt man nur noch für 98 Euro los. "Aus heutiger Sicht sind das alles gute Kredite", sagt der Sprecher der Deutschen Bank. "Aber man kann sie nicht weiter platzieren."

Faktisch bedeutet das eine Wertberichtigung um rund zwei Prozent. Bei einer Gesamtsumme von 29 Milliarden Euro entspricht dies einem Volumen von knapp 600 Millionen Euro - genau die Summe, die Analysten als Ergebniskorrektur im dritten Quartal erwarten. "Das tut weh", sagt der Deutsche-Bank-Sprecher. "Aber es ist zu verkraften." Zum Vergleich: Der Reingewinn der Deutschen Bank im zweiten Quartal belief sich auf 2,1 Milliarden Euro.

Da sich die Kredite am Markt nicht weiter verkaufen lassen, kehrt die Deutsche Bank nun zum "klassischen" Bankgeschäft zurück: Sie nimmt die Kredite einfach wieder in ihre Bilanz auf. "Das bedeutet aktuell natürlich eine Belastung für die Bilanz", sagt der Sprecher. Dafür komme der Gewinn aber bei der Rückzahlung der Kredite in den nächsten Quartalen herein.

Auch die Commerzbank gibt sich zuversichtlich

"Wir verstehen das als deutliches Signal für mehr Transparenz", sagt der Deutsche-Bank-Sprecher. In den vergangenen Wochen und Monaten waren die Geldinstitute in die Kritik geraten, weil sich durch den Kauf und Weiterverkauf von Krediten oft unklare Positionen ergeben hatten. Wenn die Kredite dagegen in der Bilanz stehen, sind die Risiken für jeden Beobachter klar zu erkennen.

Dass die Deutsche Bank nun Kredite im Nennwert von 29 Milliarden Euro in die Bilanz aufnimmt, ist dennoch nicht zu erwarten. Denn längst nicht alle zugesagten Kredite werden auch abgerufen, sagt der Sprecher. In dem betreffenden Segment sind die meisten Kunden der Deutschen Bank Private-Equity-Firmen. Und deren Geschäft kühlt sich zurzeit merklich ab. Daher benötigen sie weniger Geld - und die Deutsche Bank vergibt weniger Kredite.

Auch die Commerzbank versuchte heute, die Märkte zu beruhigen. Erst vor zwei Tagen sorgten Gerüchte für Unruhe, wonach das Institut tiefer in die Krise verwickelt sein könnte als zunächst gedacht. Der Aktienkurs gab darauf deutlich nach.

Heute schließlich wollte auch die Commerzbank selbst nicht mehr ausschließen, dass durch die US-Hypothekenkrise höhere Belastungen auf sie zukommen. Insgesamt bekräftigte das Institut aber seine Ertragsziele. "Etwaige zusätzliche Belastungen infolge der Subprime-Krise werden unsere dynamische Entwicklung aus heutiger Sicht nicht wesentlich beeinflussen", sagte Bankchef Klaus-Peter Müller. Die Risikovorsorge im Kreditgeschäft werde mit 550 Millionen Euro unter den bisherigen Prognosen von rund 700 Millionen Euro bleiben.

Und weil die Geschäfte so gut laufen, stellte Müller sogar eine Erhöhung der Dividende in Aussicht.

Von Anselm Waldermann
Mit Material von Reuters/dpa-AFX/ddp

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