Süddeutsche Zeitung, 10.01.2008
Kultur der Angst - Angstpaket mit Schleifchen
In Medien und Politik funktioniert Angst wie Crack: schnelle Wirkung, großer Effekt, macht sofort süchtig. Roland Koch und George Bush sind Meister dieser Technik. Wie man sich um echte Probleme drückt.
Hillary Clinton verdankt ihren überraschenden Etappensieg in New Hampshire einigen wenigen Sekunden im Café Espresso in Portsmouth. Da ließ sie für ein paar Sekunden Tränen in ihren Augen aufsteigen. Das machte die sonst so eiserne Lady menschlich, vor allem aber appellierte sie mit ihrem kurzen Gefühlsausbruch an die Angst. "Ich möchte nicht, dass wir zurückfallen", sagte sie. Und: "Ich sehe doch, was hier geschieht. Wir müssen das rückgängig machen." Schließlich habe die Mehrheit der Amerikaner begriffen, wie sehr die amtierende Regierung ihrem Land schade.
In der Politik und in den Medien funktioniert Angst ähnlich wie die Billigdroge Crack: schnelle Wirkung, großer Effekt, macht sofort süchtig. Angst funktioniert besser als Sex, Glamour und als die Vernunft sowieso. Roland Koch und Wolfgang Schäuble sind Meister dieser Technik. George W. Bush und Al Gore haben ihren Aufstieg darauf gegründet.
Funktioniert besser als Sex
Für Boulevardmedien ist die Angst grundlegendes Geschäftsmodell. Und eines haben die Angstmechanismen gemeinsam - wirklich tun kann man gegen die Auslöser nichts. So kann man seine Kampagnen ewig fahren, ohne in die Verlegenheit zu kommen, Ergebnisse vorweisen zu müssen.
Damit diese Methode auch wirklich greifen kann, braucht man allerdings eine Kultur der Angst, die eine Grundstimmung schafft. Ganz reale Ängste vor Armut, Krieg und Katastrophen erschüttern da zunächst einmal das Urvertrauen. Damit wird das Bedürfnis nach Erlösung immer stärker. Und wer so eine Erlösung versprechen kann, der wird mit Vertrauen, Wählerstimmen oder Einschaltquoten belohnt. Zeiten des Wandels und der wirtschaftlichen Umbrüche eignen sich dafür besonders gut.
Deswegen hat die Angst noch nie so gut funktioniert wie heute. Immerhin gehen die Einkommensscheren in den Industrienationen mit großer Beharrlichkeit auseinander, der Terror hat das Sicherheitsgefühl der Menschen erschüttert und die Klimadebatte hat panische Züge angenommen.
Das alles sind jedoch Probleme ohne Lösung. Das Aufklappen der Einkommensschere in einer immer freieren Marktwirtschaft kann kein Mindestlohn aufhalten. Dem Terror ist mit Sicherheitsmaßnahmen und Gesetzen nicht beizukommen. Den Klimawandel wird nur eine globale Anstrengung aller Länder bremsen.
Eisbärmutter frisst Eisbärbaby
Da kann die Politik gegen die eigene Machtlosigkeit nur ansteuern, wenn sie gegen noch Machtlosere vorgeht, die sie zur Bedrohung aufbaut. Und so wird derzeit das ganze Panoptikum antiker Archetypen ausgepackt, egal ob es die kindermordenden Mütter, die jungen Barbaren, oder Triebtäter sind. In so einer Kultur der Angst lassen sich dann selbst in den Kulturlandschaften von Europa wilde Tiere für einen kurzen Gruseleffekt aktivieren. Eisbärmutter frisst Eisbärbaby - so eine Meldung schnürt das ganze Angstpaket noch einmal mit einem hübschen Schleifchen zusammen.
Das alles sind natürlich keine existentiellen Bedrohungen. Die Zahl der Mütter, die ihre Kinder misshandeln oder gar töten, ist sogar zurückgegangen. Ebenso die Gewalt durch ausländische Jugendliche. Bären aller Art sind für den europäischen Normalbürger schon seit mehr als einem Jahrhundert keine Bedrohung mehr.
In den USA funktioniert diese Kultur der Angst schon länger. Und auch dort bestimmen Probleme die Spitzenmeldungen, die Urängste wecken, ohne wirklich eine Bedrohung darzustellen. Auch dort gehören gewalttätige Jugendliche und Einwanderer, Drogensüchtige und Triebtäter zum Standardrepertoire der Politik- und Boulevardthemen. Dazu kommen exotische Krankheiten, Kindsentführungen, dunkle Mächte.
Dunkle Mächte
Wie Medien solche Ängste nutzen, weiß jeder, der fernsieht. Boulevard- und Nachrichtensendungen kündigen sich da gerne mit sogenannten Cliffhangern an, die nach dem immer selben Muster funktionieren: Neue Bedrohung! Gleich in der Sendung! Sollten Sie sich Sorgen machen?
In der Politik kann man Ängste zunächst für den Wahlkampf nutzen. Wenn Roland Koch die ausländischen Jugendlichen zur allgemeinen Bedrohung aufbaut, dann trägt er sein Anliegen buchstäblich zu den Wählern nach Hause. Ausländische Jugendliche leben heute in Deutschland nicht mehr nur in Großstädten, sondern in fast jedem Ort. Man kann Ängste aber auch nutzen, wenn man schon regiert.
Wenn Angela Merkel staatlichen Kinderschutz einfordert, weil sich die Berichte über verwahrloste oder getötete Kinder häufen, dann überspielt sie die Machtlosigkeit einer Regierung, die nach einer Periode der Privatisierung den Gesellschaftsvertrag der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr einhalten kann, indem sie eine effektive Lösung für ein Problem anbietet, das sich auf Einzelfälle beschränkt. Und wenn das LKA kurz vor Weihnachten einen großen Schlag gegen Kinderpornographen im Netz verkündet, ist der Zusammenhang ganz offensichtlich. Kurz vor Weihnachten denkt fast jeder Bürger an seine Kinder, Enkel, Nichten, Neffen. Wem graut da nicht vor möglichen Verbrechen an ihnen.
Ein Unmensch, wer da die Relevanz der umfangreichen Gesetze anzweifelt, die seit dem 1. Januar Internet- und Telefonverkehr kontrollieren. Auch das ist eine Methode aus den Vereinigten Staaten, wo man die Daten von Suchmaschinen im Rahmen eines Pornographiegesetzes beschlagnahmte.
Trumpfkarte Terror
Die Trumpfkarte der Angstmacherei ist seit den Anschlägen des 11. September der Terror. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in Europa oder Amerika Opfer eines Anschlages wird, liegt statistisch immer noch weit unter der Chance, von einem Blitz getroffen zu werden. Statistisch gesehen, war die Stadt New York im Terrorjahr 2001 sogar sicherer als im Jahr 1991. Doch im aktuellen Wahlkampf zieht jeder einzelne Kandidat der Republikaner die Terrorkarte.
Selbst der sonst so höfliche John McCain schaltet Werbespots mit Bildern vermummter Islamisten. Dagegen können Hillary Clintons Gesundheitspolitik oder Barack Obamas philosophische Idee vom Prinzip Hoffnung nur schwer an.
Und darin liegt das Problem einer Kultur der Angst. Sie verstellt den Blick auf relevante Probleme mit Bildern. Wenn ausländische Jugendliche einen Rentner vor den Überwachungskameras in der U-Bahn verprügeln, sieht man rohe Gewalt. Die ersten Erfolge einer Sozial- und Integrationspolitik, die Gewalt eindämmt, sind so nicht darstellbar. Die Geschichte einer Mutter, die ihre Kinder ermordet, ist so grausam wie schlicht. Das lässt sich in zwei Zeilen erzählen. Die Strukturprobleme, mit denen deutsche Familien mittleren und niedrigen Einkomens zu kämpfen haben, sind viel zu komplex für eine Meldung.
Aber auch die vermeintlich gute Seite bedient sich solcher Methoden. Wenn die Umweltbewegung die Folgen des Hurrikans Katrina oder der Buschbrände in Kalifornien instrumentalisieren, um gegen die Klimapolitik der Regierung Bush zu agitieren, bedienen sie sich der gleichen Methode. Beide Katastrophen waren vor allem deswegen so verheerend, weil eine verfilzte Bürokratie und ein unterfinanziertes Sozialsystem versagten. Wer die Realität verzerrt, dient keinem.
Gegen die Kultur der Angst anzuschreiben ist allerdings so sinnvoll, wie es ist, diese Ängste zu beschwören. Denn da passt die Analogie von der billigen Droge. Keine Macht der Welt wird Politik und Medien davon abbringen, die Kultur der Angst zu pflegen. Wenn es sein muss, auch mit Tränen.
Von Andrian Kreye