Capital 03/2008, Seite 116, 18.01.2008
Ohne jede Einsicht
Sachsen LB: Ministerpräsident Georg Milbradt will nicht gewusst haben, dass seine Landesbank mit 44 Milliarden Euro zockte. Doch Zweifel sind angebracht.
„Die Landesbank ist ein Ertragsbringer und kein Sanierungsfall", rief der Ministerpräsident in den Plenarsaal des Sächsischen Landtages. „Wer anderes behauptet, meine Damen und Herren, muss das beweisen, um ernst genommen zu werden." Das Protokoll notiert Beifall in den Reihen der CDU-Abgeordneten. Und auch Georg Milbradts Finanzminister Horst Metz klatschte eifrig. Das war am 9. März 2005, als Milbradt eine Regierungserklärung abgeben musste, weil die SachsenLB zum ersten Mal wegen etlicher Risikogeschäfte in die Kritik geraten war.
Der Beweis ist inzwischen erbracht. Die Bankvorstände und Finanzminister Metz wurden abgesetzt. Und Milbradt eilte zu einer nächtlichen Krisensitzung zur Bankenaufsicht Bafin nach Frankfurt, um den Präsidenten Jochen Sanio (Bafin) und Axel Weber (Bundesbank) Rede und Antwort zu stehen. Es waren „Stunden und Tage, die ich keinem wünsche", erzählt Milbradt, was man ihm leicht abnimmt.
Denn obwohl zuvor schon Unterstützungskredite von 17 Milliarden Euro beschafft wurden und sich die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) als neuer Eigentümer anbot, drohte die Insolvenz. Der Crash einer Landesbank, die sich mit sogenannten Asset-backed Securities (ABS), verbrieften Forderungen auf US-Hypotheken, gewaltig verzockt hatte. All dies geschah im Dezember.
Ab sofort geht das Drama um die SachsenLB und die Rolle Milbradts in eine neue Runde. Dabei dreht es sich auch um die Frage, ob der Ministerpräsident für den Niedergang der einzigen ostdeutschen Landesbank die Verantwortung übernehmen, im Zweifel ebenfalls den Sessel freigeben muss.
Doch Milbradt gibt nicht auf. „Ich bleibe im Amt", erklärte er Anfang Januar. Politische Verantwortung, so dozierte er, sei „nur dann zu übernehmen, wenn man tatsächlich für die Entwicklung verantwortlich war, und zwar nicht in einem höchst abstrakten Sinne".
Konkret will Milbradt von den Milliardenspekulationen nämlich kaum etwas mitbekommen haben. „Vom Umfang und den Details der Geldanlagen hatte ich keine Kenntnis", verteidigt er sich.
Hat er tatsächlich als Miteigentümer vom Umfang des Risikoportfolios, das am Ende 44,657 Milliarden Euro betragen hat, nichts gewusst? Sind ihm Verbriefungsdeals seiner Landesbank in einer Größenordnung verheimlicht worden, die das entsprechende Geschäftsvolumen von Weltfinanzkonzernen wie der UBS oder der Deutschen Bank weit überragten?
Die Opposition ist skeptisch.
Andre Hahn, Fraktionschef der Linkspartei, forderte, der Generalstaatsanwalt müsse gegen Milbradt ermitteln; die einfachen Staatsanwälte am Landgericht reichen ihm nicht. Werden Milbradts Aussagen widerlegt, kann er selbst in der CDU mit Gegenwind rechnen. Sein Parteifreund und Talkshow-Politiker Heinz Eggert warnte: „Ein Ministerpräsident, der die Risiken kannte und dem nicht Einhalt geboten hat, hat sich auch nicht bemüht, Schaden vom Land abzuwenden. Und dann muss er gehen."
Milbradt war der Mentor
Jedenfalls spielt die 1992 gegründete Landesbank in Milbradts politischer Karriere eine Schlüsselrolle. Er war ihr Mentor, sie war sein Baby. Seit November 1990 saß der 60-jährige Sauerländer zehn Jahre lang als Finanzminister im Kabinett von Kurt Biedenkopf – bis er sich mit dem charismatischen Regierungschef zerstritt und schließlich im April 2002 selbst Ministerpräsident wurde. Als Finanzprofessor, der in Münster und Mainz gelehrt hat, gilt er als der Architekt der SachsenLB.
Über die „Theorie der optimalen Schuldenstruktur des Staates" hat er 1975 promoviert, Verwaltungskosten und Schuldenmanagement waren seine Stecken-
pferde. Noch im Jahr 2001 verfasste er zusammen mit seinem Ministerialbeamten Bernd Thode ein 300-Seiten-Werk über die „Neuordnung der Sparkassen, der Landesbank Sachsen Girozentrale und der Sächsischen Aufbaubank". Thode ist noch heute als Referatsleiter im sächsischen Finanzministerium für die Aufsicht über die Landesbank zuständig. Eine erste Krise der SachsenLB wurde 2001 erkennbar, kurz nachdem Milbradt als Finanzminister abgetreten war. Die Kreditgeschäfte waren nicht mehr rentabel, fasste der damalige Bankchef Michael Weiss in einer vertraulichen Vorlage für die Verwaltungsratssitzung im September 2001 zusammen. Die Infrastruktur wurde zum Kostenrisiko. Und schlimmer noch: Wenn man so weiter wurstele, sei „die notwendige Ressource Eigenkapital Ende 2002 erschöpft".
Obwohl man damals gerade erst einen Strategiewechsel vollzogen hatte, schlug Weiss erneut eine radikale Wende vor. Er wollte in das moderne Kapitalmarktgeschäft „Structured Finance" einsteigen, zum Beispiel mit Verbriefungen. Das Firmenkreditgeschäft wollte er einstellen. Nur noch extern geratete Unternehmen sollten Darlehen erhalten. SachsenLB-Manager Eckhard Laible, ein schwäbischer Leasingexperte, wehrte sich vehement. In einer Protestnote warnte er den Verwaltungsrat vor Fehlern, Risiken und Folgen. Kein sächsisches Unternehmen sei geratet, die Landesbank würde ihre ostdeutschen Kunden verlieren. Er wies auf die hohen Ertragsschwankungen bei Kapitalmarktgeschäften hin. Aber er setzte sich nicht durch. Bankchef Weiss obsiegte – mit Deckung der Landesregierung.
Nun wurde Dublin zum Standort für die neuen Kapitalmarktdeals auserkoren. Doch es war klar, dass die Landesbank für diese Geschäfte in Milliardendirnensionen viel zu wenig Eigenkapital hatte. Man half sich mit einem Bilanztrick: Die Deals wurden in Briefkastenfirmen ausgelagert, neudeutsch Zweckgesellschaften genannt, und als Eigentümer wurden angeblich unabhängige Treuhänder eingesetzt. Nach diesem Muster gründeten die Sachsen im Frühjahr 2002 die Briefkastenfirma Georges Quay, im März 2004 kam unter anderem Ormond Quay hinzu. An der Bilanz der Landesbank vorbei drehten sie ein Milliardenrad. Und Mil[bradts Finanzminister, der im Verwaltungsrat saß, hatte dies abgenickt. Aber wurde der Umfang der Deals auch Ziehvater Milbradt selbst zur Kenntnis gebracht, der seit 2002 als Ministerpräsident amtierte?
Milbradt bestreitet dies. Allerdings belegen vertrauliche Korrespondenzen, die Capital vorliegen, dass sich der Ministerpräsident über weit geringfügigere Probleme im Immobiliengeschäft der Landesbank genauestens unterrichten ließ.
Die Dokumente zeigen, dass der Ex-Finanzminister in seiner Zeit als Ministerpräsident immer noch den kurzen Draht pflegte. So ließ er sich im Sommer 2004 mehrfach direkt vom Büro des Bankchefs oder aus dem Vorstandsstab – „VS-Vertraulich" – über den Stand von Strafuntersuchungen und Vergleichsverhandlungen mit einem Geschäftspartner informieren. Damals ging es gerade einmal um 23 Milliönchen und doch wurde das Büro des Kabinettschefs „mit der Bitte um Weiterleitung an den Ministerpräsidenten" regelmäßig ins Bild gesetzt.
Landtag ruhiggestellt
Schon damals wurden bei der Georges Quay Probleme ruchbar. Doch Milbradt legte seine schützende Hand über die risikofreudigen Dealer. Zu den „angeblich unkalkulierbaren Risiken im Kredit-und Beteiligungsportfolio der Sachsen LB, insbesondere in Dublin" erklärte er 2005 in seiner Regierungserklärung: „Nach allem, was wir wissen und was vor allem unabhängige Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Jahresabschlussprüfung, nicht zuletzt bei einer Sonderprüfung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, festgestellt haben, ist auch diese Aussage unbegründet und geschäftsschädigend."
Die Parlamentarier mussten also davon ausgehen, dass der Regierungschef die Ergebnisse dieser Sonderprüfung kannte, die im August 2004 von der Bafin. in Auf
trag gegeben wurde und deren Abschlussbericht am 29. April 2005 vom Prüfkonzern KPMG vorgelegt wurde. Die Prüfer erkannten schon damals: „Die außerbilanziellen Geschäftsvolumina in diesem Bereich betragen nach unseren Ermittlungen zum 31. August 2004 30,7 Milliardern Euro." Die bestehenden Erstverlustrisiken seien nicht genügend dokumentiert, die Methoden zur Messung von Kreditrisiken schlecht, die latenten Risiken in der Bilanz nicht enthalten. Die Strategie der Landesbanker setze voraus, „dass es grundsätzlich nie zu Marktstörungen kommt".
Milbradt sagt, dass „die Mängel abgestellt" worden seien, unter den wachsamen Augen der Aufsicht. In einem „Spiegel"-Interview verteidigt er sich: „Bundesbank und Bafin sitzen im Verwaltungsrat."
Doch das ist nicht ganz richtig. Der Verwaltungsrat der Sachsen LB hat keine von der Notenbank oder der Finanzaufsicht entsandten Mitglieder. Beamte der beiden Behörden können lediglich im Rahmen des Kreditwesengesetzes an den Sitzungen teilnehmen – als Gäste.
Leo Müller
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Die Geschäfte der Dubliner Sachsen LB-Tochter werden – wie auch im Fall der Mittelstandsbank IKB wegen des Verdachts der Untreue untersucht.
Seit Herbst 2007 ermittelt die Staatsanwaltschaft Leipzig im Fall der Sachsen LB wegen des Verdachts der Untreue, unter anderem aufgrund einer Strafanzeige, in der ehemalige und heutige Vorstände sowie Verwaltungsräte der Landesbank beschuldigt werden. Bankenvertreter kolportierten in den vergangenen Wochen, dass die Ermittlungen kurz vor der Einstellung stünden. Dem ist nicht so. Laut Informationen aus Justizkreisen hat die Staatsanwaltschaft sogar das Bundeskriminalamt (BKA) eingeschaltet, um die internationalen Untersuchungen zu unterstützen. Das gleiche BKA-Team ermittelt ebenfalls im Fall der Mittelstandsbank IKB.