Karl Nolle, MdL

Hannoversche Allgemeine, vom 17.03.2008, 23.03.2008

Der „andere“ Sozialdemokrat

Der frühere SPD-Politiker und niedersächsische Kultusminister Peter von Oertzen ist tot.
 
Der frühere SPD-Politiker und niedersächsische Kultusminister Peter von Oertzen ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 83 Jahren in Hannover. Das sagte ein Schwiegersohn des Ex-Politikers am Montag und bestätigte damit einen Bericht der „tageszeitung“

Die SPD, so schrieb Peter von Oertzen vor gut zwölf Jahren, sei nicht mehr die Partei seiner Generation. „Sie ist heute nicht besser, nicht schlechter, sondern anders.“ Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit habe früher eine größere Rolle gespielt. Damals, 1997, rang die SPD wieder einmal um den richtigen Kurs. Peter von Oertzen forderte ein klares Programm, ein linkes Profil. Er tat es ohne Argwohn, aber mit sturer Konsequenz. Zeit seines Lebens hat er für seine Überzeugungen gestritten, auch wenn es dabei zeitweilig um ihn herum einsam wurde. Gestern ist Peter von Oertzen im Alter von 83 Jahren in Hannover nach langer Krankheit gestorben.

Der „rote Peter“ – Wissenschaftler, Hochschulprofessor, Vordenker, Minister – war kein bequemer Parteigänger. 1946, mit 22 Jahren, trat der Göttinger Student der Philosophie, Geschichte und Soziologie der SPD bei. Kritisch begleitete er bereits damals den Wandel der SPD von der Arbeiter- zur Volkspartei. 1959 gehörte er zu einer kleinen Gruppe von 16 Sozialdemokraten, die das Godesberger Reformprogramm ablehnten und einen eigenen Entwurf vorlegten. Peter von Oertzen begriff sich als „demokratischer Sozialist“, dem die „krachledernen dogmatischen Marxisten“ ebenso ein Graus waren wie Politiker, die ihre Überzeugungen so schnell wechselten wie das Hemd.

Bereits in den fünfziger Jahren war er niedersächsischer Abgeordneter. Als Kultusminister im Kabinett von Alfred Kubel ließ er Anfang der siebziger Jahre neue Schulformen wie die Integrierte Gesamtschule und die Orientierungsstufe erproben und sorgte für frischen Reformwind an den Universitäten. 1970 löste er mit Hilfe der Linken den rechten Kanalarbeiter Egon Franke an der Spitze des Bezirksvorstands Hannover ab und wurde damit zur Nummer eins der Landespartei. 1979 überließ er Karl Ravens den Landesvorsitz; 1983 trat er sein Amt als Bezirksvorsitzender an Gerhard Schröder ab und widmete sich wieder seiner Arbeit als Politikprofessor an der Universität Hannover.

Zwei Jahrzehnte lang gehörte er dem Parteivorstand an. 1993 legte er alle Ämter nieder; nur die Parteischule, die sich der innerbetrieblichen Weiterbildung widmet, führte er noch einige Jahre mit Herz und Verstand. Als Kritiker meldete er sich auch fortan zu Wort. 1997 unterschrieb er zusammen mit 34 Gewerkschaftern, Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern die „Erfurter Erklärung“, die sich für ein Linksbündnis von SPD, Grünen und der damaligen PDS aussprach. Die PDS sei keine Gefahr für die Demokratie, meinte Oertzen. Ein Tolerierungsmodell müsse offen diskutiert werden. 2002 mischte er sich ein letztes Mal in die Bildungspolitik der SPD ein und warnte den damaligen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel davor, die Orientierungsstufe abzuschaffen.

Im März 2005 meldete er sich mit einem Paukenschlag zurück. Peter von Oertzen trat nach fast 60 Jahren Zugehörigkeit aus der SPD aus und in die WASG ein, die mittlerweile mit der PDS zur Linkspartei fusioniert ist. „Ohne Groll“ habe er die SPD verlassen, sagte er damals in seinem letzten Interview. Den Wechsel habe er eigentlich einer seiner Töchter zuliebe vollzogen, gestand der 80-Jährige, der in einem Pflegeheim lebte. Dem Journalisten vertraute er an, dass ihn der Gedanke an den Tod bedrücke. Er sprach über die „Personage“ im Himmel, die er aber nicht fürchte. „Ich habe keine Angst vor der Strafe für meine Sünden.“
von Gabi Stief

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