Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 19.03.2008

"SPD muß aus ihren Fehlern lernen"

Die Oberbürgermeisterin in Chemnitz, Barbara Ludwig, rät ihren Genossen im Westen zum pragmatischen Umgang mit den Linken.
 
Die SPD-Politikerin Barbara Ludwig hält es für richtig, dass die einzelnen SPD-Landesverbände entscheiden können, ob sie mit den Linken Regierungsbündnisse eingehen oder nicht. Der strikte Abgrenzungskurs der sächsischen SPD gegenüber der früheren PDS in den 90er Jahren habe der Wähler nicht honoriert. Das Verhältnis der SPD dürfe nicht zu einer Gretchenfrage werden.

Frau Ludwig, die Umfragewerte der SPD sind im Keller, die Popularitätswerte von SPD-Chef Kurt Beck befinden sich auf einem historischen Tiefstand. Wie will die SPD ihr Ansehen bei den Wählern verbessern?

Wir sind in der Tat im Moment in keiner leichten Situation. Es gehört aber zu den Stärken der Volkspartei SPD, dass sie gelegentlich Krisen durchlebt, die sie immer wieder meistert. Die Diskussionen in meiner Partei bilden die Themen ab, über die bis in die Familien hinein diskutiert wird. Der Umgang mit der Linkspartei beschäftigt zurzeit viele Menschen in den alten Bundesländern, weil das dort etwas Neues ist. Es ist ein gutes Lebenszeichen für eine Volkspartei, dass wir Konflikte austragen, die tatsächlich auch als Thema durch viele Menschen wahrgenommen werden. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir auch schwierige Probleme lösen können.

Was machen die SPD-Landesverbände im Westen der Republik Ihrer Meinung nach falsch im Umgang mit der Linkspartei?

Es war nicht falsch von den Landesverbänden in Niedersachsen, Hessen oder Hamburg, zu hoffen und zu versuchen, dass die Linke nicht in die Landesparlamente einzieht. Ich wünsche mir aber, dass stärker das Gespräch mit den ostdeutschen Landesverbänden gesucht wird. Wir haben zwar weniger Mitglieder, aber 18 Jahre Erfahrung mit der Linken hinter uns. In dieser Zeit haben wir uns in einem schmerzhaften Prozess Souveränität im Umgang mit den Linken erarbeitet. Es war für uns nicht einfach, gerade als Sozialdemokraten, zu akzeptieren, dass es die SED-Nachfolgepartei gibt. Inzwischen wissen wir, dass im Osten PDS nicht gleich PDS ist. Deshalb wäre es hilfreich, wenn die westlichen Landesverbände nach unseren sehr differenzierten Erfahrungen und unterschiedlichen Ausgangssituationen fragen. Ich rate, die eigenen Inhalte in den Mittelpunkt zu stellen, um dann zu sehen, wo wir mit den Linken Übereinstimmung erzielen. Einiges stammt ohnehin aus unserem Repertoire, um nicht zu sagen, es ist bei uns abgeschrieben.

Fanden Sie es überzeugend, dass die SPD Koalitionen mit den Linken im Westen ausgeschlossen hat, im Osten aber nicht?

Die PDS war eine Regionalpartei und wir hatten die Hoffnung, dass
sie sich eines Tages mit der Angleichung der Lebensverhältnisse überlebt. Durch die Fusion mit der WASG hat sie sich gegenwärtig auch in den alten Ländern etabliert. Im Nachhinein wird man sagen müssen, dass diese Festlegung gut gemeint, aber zu kurz gedacht war. Jetzt wäre es ein Fehler, die Zusammenarbeit mit der Linkspartei zur Gretchenfrage werden zu lassen. Die SPD kann nur verlieren, wenn sie sich anhand der Frage „Wie hältst Du es mit den Linken?" sortiert. Man sollte nicht jeden Fehler wiederholen, den wir in den 90er Jahren zeitweise gemacht haben.

Welche Folgen hätte eine Koalition mit der Linkspartei in einem Bundesland im Westen für die SPD als Ganzes?

Wir haben einen Vorstandsbeschluss, dass die Landesverbände selbst entscheiden, wie sie mit der Linkspartei umgehen. Ich finde es richtig, dass die Landesverbände entscheiden und sich mit Inhalten und Personen auseinandersetzen können. Im Bund ist eine Koalition 2009 aber undenkbar. Das geht schon deshalb nicht, weil die Linkspartei die EU und die Mitgliedschaft in der Nato infrage stellt.

Und in Sachsen? Hier könnte die SPD 2009 vor der Alternative zwischen einer großen Koalition mit der CDU oder einem rot-roten Regierungsbündnis mit ei-
nem Ministerpräsidenten der Linkspartei an der Spitze stehen.

Ich gehe davon aus, dass eine Abstimmung bei uns wahrscheinlich ähnlich ausfallen würde wie in Thüringen, wo sich die SPD vor einigen Wochen in einer Urwahl eindeutig dagegen entschieden hat, Juniorpartner der Linkspartei zu werden. Ich persönlich kann mir das ebenso für Sachsen nicht vorstellen, kann und will meinem Landesverband an der Stelle aber auch nicht vorgreifen. Außerdem bin ich optimistisch, dass wir unsere derzeitigen Umfragewerte von etwa 15 Prozent noch deutlich steigern werden und wir nicht zwangsläufig wieder hinter der Linkspartei landen. Es dürfte darüberhinaus für die Linkspartei nicht erstrebenswert sein, zu diesem Zeitpunkt die Gesamtverantwortung in einem Bundesland zu übernehmen. Der Populismus von Oskar Lafontaine verschreckt Unternehmer, daran können auch die Linken kein Interesse haben. Fakt ist, dass die SPD in der jetzigen Koalition mit der CDU viel Richtiges durchsetzt.

Die sächsische SPD hat sich in den 90er Jahren so stark von der PDS abgegrenzt wie sonst kein anderer Ost-Landesverband. War das ein Fehler?

Ich gehörte damals mit zu einer Minderheit, die der PDS vermutlich auch aus Altersgründen moderater gegenüberstand. Ich habe akzeptiert, dass die Mehrheit der sächsischen SPD das anders gesehen hat und ich wohl deswegen sogar einmal als stellvertretende Landesvorsitzende nicht wieder gewählt wurde. Der Wähler hat die konsequente Abgrenzung aber nicht honoriert. Wir sehen heute, dass die PDS, dort wo sie wie in Mecklenburg-Vorpommern Verantwortung übernahm, die Verantwortung sehr ernst genommen und den Entschuldungskurs mitgetragen hat, das bei den nächsten Wahlen bitter zu spüren bekam. In Sachsen-Anhalt haben sowohl SPD als auch PDS nach dem Tolerierungsmodell und der anschließenden Koalition zeitweise beide verloren. Anderswo hat die Linke das schier Undenkbare getan und dem Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft im öffentlichen Dienst zugestimmt. In Dresden unterstützte sie gar den Verkauf von Wohnungen an ein gewinnorientiertes Unternehmen. Die Linkspartei ist keine inhaltsklare Partei.

2009 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Mit wem will die SPD in den Wahlkampf ziehen?

Thomas Jurk ist erfolgreicher Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. Er führt die SPD in einer schwierigen Konstellation mit Erfolg. Er ist unser erster Kandidat.

Sie waren Hochschul- und Kunstministerin und sind jetzt Oberbürgermeisterin in Chemnitz. Wäre es für die SPD nicht interessant, mit einer Frau ins Rennen zu gehen?

Ich habe entschieden, mich in Chemnitz direkt als Oberbürgermeisterin zur Wahl zu stellen. Das war eine sehr gute Entscheidung. Die Frage zur Landtagswahl stellt sich deshalb für mich nicht. Ich freue mich aber, dass es selbstverständlich geworden ist, dass Frauen von ihren Parteien als Zugpferde angesehen werden und auch solche Aufgaben übernehmen. So sollte es sein. Diese Unaufgeregtheit haben wir vermutlich auch Angela Merkel zu verdanken.

Das Gespräch führte Karin Schlottmann

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Persönliche Daten

Die SPD-Politikerin Barbara Ludwig (46) ist seit 2006 Oberbürgermeisterin in Chemnitz.
Sie gehört dem SPD-Parteivorstand sowie dem 16-köpfigen Präsidium an.
Knapp zwei Jahre lang, von November 2004 bis September 2006, arbeitete Ludwig in der CDU/SPD-Koalition in Sachsen als Ministerin für Wissenschaft und Kunst.
Von 1994 bis 2001 war sie Landtagsabgeordnete.
Ludwig war Lehrerin. Sie ist geschieden und hat eine Tochter. (SZ)

Karl Nolle im Webseitentest
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