Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 01.04.2008

Pflichtbewusst nichts gewusst

Regierungschef Georg Milbradt weist jegliche Mitverantwortung für das Landesbank-Debakel im Untersuchungsausschuss entschieden zurück.
 
Der Abgeordnete Georg Milbradt trägt sich auch an diesem Morgen zunächst ordnungsgemäß in die im Vorzimmer ausgelegte Anwesenheitsliste ein. Dann erst wendet er sich der weit geöffneten Tür des Raums A 600 im Landtag zu, in dem sonst seine CDU-Fraktion immer tagt. Nur erwartet den Ministerpräsidenten diesmal im geöffneten Schlund des Raumes ein Pulk von etwa 20 Fotografen und Kameraleuten, Blitzlichter, Gerangel um die besten Foto-Plätze vor dem Zeugentisch mit dem weißen Plastikschild. Doch der Stuhl hinter dem Schriftzug „Professor Milbradt“ bleibt noch lange leer. Milbradt dreht ab. Er führt Regie, es ist seine Inszenierung, wenn er schon als Zeuge dem Untersuchungsausschuss zum Landesbank-Desaster Rede und Antwort stehen muss. Und darum soll es auch kein Foto geben vom Regierungschef, der wie ein Häufchen Elend auf einer Anklagebank sitzt, zusammengesunken auf einem Stuhl. Er soll erklären, warum die Landesbank fast pleite ging und warum der Freistaat sie Hals über Kopf verkaufen musste.

Zunächst aber lächelt Milbradt stehend erstmal alles weg. Die eigene Anspannung. Die neugierig-drängenden Blicke vor dem ungewissen Befragungs-Marathon. Er macht die Runde um den hufeisenförmigen Ausschuss-Tisch. Der freundliche Vorsitzende, Gottfried Teubner (CDU), will dem Regierungschef schon mit einem Fingerzeig den Weg zum Zeugen-Tisch weisen. Doch dahin will Milbradt noch nicht. Lieber noch ein bisschen plaudern mit Abgeordneten. Freundliches Händeschütteln, ein bisschen Smalltalk, auch mit dem Hauptgegner, SPD-Obmann Karl Nolle. Der klopft ihm, geschmeichelt von der ungewohnten Nähe, kollegial auf den Arm.

Erst als die Fotografen draußen sind, lässt Milbradt an die Journalisten ein fein gebundenes Redemanuskript von fast 70 Seiten verteilen. Die Ausschuss-Mitglieder gehen leer aus. Dann beginnt der 63-Jährige seine Erklärung vorzutragen, mit monotoner Stimme. Seite für Seite blättert er weiter in dem großen Ordner vor ihm, fast drei Stunden lang; neben sich nur einen riesigen schwarzen Aktenkoffer; wenige Meter entfernt lehnen zwei Bodyguards an der Wand.

Milbradt zieht sich zurück auf die einsame Insel eines scheinbar völlig Ahnungslosen, was alle Abläufe und Entscheidungen der Bank nach seiner Amtszeit als Finanzminister betrifft. Er möchte nicht einmal mehr als „Vater“ der Landesbank gesehen werden. Vielmehr habe doch der Landtag 1991 die Gründung der Landesbank beschlossen, führt er aus. Ihm sei es immer darum gegangen, das Risiko der Geschäfte in Dublin „für die Sachsen LB und ihre Gremien kontrollierbar zu halten“.

Nur „fallweise“ informiert

Erst ab Mitte 2004 sei es zu Fehlentscheidungen gekommen, also erst nach seiner Zeit als Finanzminister, betont Milbradt. Er kauert dabei am Tisch, die Arme aufgestützt, die Ellbogen zur Seite ausgefahren wie zur Abwehr, die Beine überkreuzt, und blickt kaum auf in die Runde.

Er habe sich an das „Ressortprinzip“ gehalten, versichert Milbradt – das heißt: den Finanzminister ungestört seine Arbeit machen lassen. „Allenfalls fallweise“ habe er sich informieren lassen.

Bedauern über das Landesbank-Debakel? Ja, aber politische Verantwortung vermag Milbradt nicht bei sich zu orten. Es kann „keine politische Haftung für Vorgänge geben, die die politische Ebene nicht erreicht haben“, sagt er. Schuld allein sei der Vorstand, bekräftigt Milbradt seine Sicht, die er durch das von der Regierung in Auftrag gegebene Gutachten der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young bestätigt sieht. Falsch informiert seien die Vorstände vielfach gewesen und hätten daher auch falsch informiert. Zudem hätten sie sich „in Stresssituationen“ als „überfordert“ erwiesen. Auch die Banken-Aufsicht (BaFin) habe doch nicht gewarnt, so Milbradt. Sogar ihre Vertreter im Verwaltungsrat hätten doch alle Informationen „als plausibel und nachvollziehbar eingeschätzt“. Dann könne die Staatsregierung doch „nicht bösgläubiger sein“, nimmt er die gesamte Regierung in Schutz. Und auch der Rücktritt von Finanzminister Horst Metz wäre, folgert man daraus, gar nicht nötig gewesen. Milbradts Fazit: „Ich bin meinen Pflichten sowohl als Finanzminister als auch als Ministerpräsident nachgekommen, wie es das jeweilige Amt erfordert.“

Risse bekommt Milbradts bis dahin nahezu reibungslos-unaufgeregter Auftritt erst, als Nachfragen der Abgeordneten kommen. Dass dem Ausschuss weder sein Statement noch das Ernst&Young-Gutachten vorliege, kritisieren Ausschussmitglieder. „Das ist doch meine Sache, was ich der Presse vorlege“, hält Milbradt unwirsch entgegen. „Sie hätten mal zuhören sollen“, keift er auf eine weitere Nachfrage zurück. „Das steht doch alles drin.“ Immer wieder entlädt sich angestauter Frust und Ärger an diesem Nachmittag. Souveräne Gelassenheit hört sich anders an. Ob er jemals mit Metz über einen möglichen Verkauf der Bank-Tochter in Dublin gesprochen habe? Milbradt weicht aus und antwortet weder mit Ja noch mit Nein. Dabei machen es ihm Abgeordneten relativ leicht: Die Fragen scheinen kaum aufeinander abgestimmt, es gibt häufig Wiederholungen. Die Runde dreht sich immer wieder im Kreise.

Vorwürfe gegen Sagurna

Alle warten auf Karl Nolle, den SPD-Obmann, der im Ausschuss stets für einen medialen Paukenschlag gut ist. Und er zieht auch diesmal wieder ein Papier aus seinem „Abgeordneten-Briefkasten“, wie er grinsend die Herkunft vertraulicher Dokumente erklärt. Diesmal soll sein Briefkasten-Inhalt Milbradts Regierungsmannschaft im Kern erschüttern: Staatskanzleichef Michael Sagurna habe vor seinem Wiedereintritt in die Regierung für Milbradts „Erzfeind“ Ludwig Hausbacher als Berater gearbeitet. Kopien eines entsprechenden Vertrages kursieren wenig später im Landtag. Monatlich 1000 Euro sollte Sagurna demnach für persönliche Kommunikationsberatung des Tutzinger Unternehmers erhalten. Dessen Leasing-Firma IIL GmbH lieferte sich ab 2004 jahrelang einen erbitterten Prozess-Krieg mit der Landesregierung über den Wert seiner Anteile an der Landesbank-Tochter Mitteldeutsche Leasing GmbH. Pikant: Sagurna sollte offenbar nur in diesem Streit zusammen mit Biedenkopf-Schwiegersohn Andreas Waldow, der offiziell als Pressesprecher Hausbachers fungierte, der Anti-Freistaats-Seite die richtige Strategie zimmern. Als Vertragsbeginn wurde der 1. November 2004 festgelegt. Enden sollte der Vertrag, sobald eine Einigung zwischen dem Freistaat und Hausbacher zustande käme. Das Ende ist bekannt: Nach monatelangem Prozess-Krieg vor Gericht musste der Freistaat rund 14 Millionen an den Unternehmer zahlen. Im Herbst 2007 trat Sagurna, Biedenkopfs früherer Regierungssprecher, dann in die Regierung Milbradt ein. Nein, den Vertrag kenne er nicht, gesteht Milbradt zerknirscht. Aber Sagurna habe ihn vor Amtsantritt informiert, dass er für Hausbacher gearbeitet habe. Nolles Treffer sitzt dennoch.

310.000 Euro für Ex-Vorstand

Derweil sickert unter Journalisten durch, dass auch der frühere Bank-Vorstandschef Michael Weiss nachträglich nochmals abkassieren darf: Der im Februar 2005 abberufene Bank-Manager, der heute auf der Sonneninsel Zypern lebt, erhält laut Gericht 310000Euro obendrauf, unter anderem als „Erfolgsprämie“ für das Geschäftsjahr 2005. Auch gestern lobt Milbradt Weiss als „kompetenten Manager und aufrechten Mann“. „Das Problem kann ja auch darin gelegen haben, dass die Personen gewechselt haben“, stellt er sich hinter Weiss.

Heute geht die Befragung Milbradts in die zweite Runde. Auf Antrag von Koalitionspartner SPD.
Von Annette Binninger

Karl Nolle im Webseitentest
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