Dresdner Morgenpost, 06.04.2008
"Verdrosssen, aber richtig"
Kommentar von Tom Reiche
Ja, ich weiß", sagte mein Freund M. „Politikverdrossenheit ist nicht das richtige Wort - ich soll Politikerverdrossenheit sagen! Aber ist das nicht das Gleiche?"
Na, wenn du davon ausgehst, dass Politik das ist, was Politiker machen - dann vielleicht. Aber nicht, wenn unser gesellschaftliches Zusammenleben Politik ist, und die Politiker eigentlich dafür da sind, das alles besser zu organisieren..." Meine Antwort ließ ihn nur auflachen. „Besser zu organisieren!", höhnte er. „So wie Kurt Beck alles besser organisiert, wenn er sagt, die Diskussion über die Linke ist beendet. Von wegen! Aber Herr Beck hat keine Lust darüber zu reden, weil ihm nichts Vernünftiges einfällt, und tut so, als ob es nichts mehr zu sagen gäbe! So geht Politik!"
Mein Freund schniefte. „Genau wie die CSU-Freunde bei ihrer Klausurtagung in Blutbad Kreuth! Vor einem Jahr haben sie dort Edmund Stoiber politisch hingerichtet, aber jetzt, wo sie echte Probleme haben, ist die Parole: Zusammenhalten! Klappe halten! Politik ist die Kunst, im entscheidenden Moment nichts mehr zu sagen, so sehe ich das!"
Aber dass du dich darüber aufregst, ist auch Politik!", warf ich ein. „Ich rege mich auf? Dann solltest du mich mal erleben, wenn ich wütend bin. Nee, nee! Ich nehme nur zur Kenntnis." Ich zuckte mit den Schultern. „So gesehen ist das auch Politik!"
Doch mein Freund ging nicht darauf ein. „Ich nehme zum Beispiel zur Kenntnis, dass unser alter Bürgermeister und jetziger Verkehrsminister verdächtigt wird - Moment, wie drücken die sich aus: Beihilfe zur Vorteilsnahme - toller Begriff. Aber sein Pressesprecher hat gleich darauf hingewiesen, dass Tiefensee sich nicht persönlich Vorteile genommen hat. Wie edel- mütig!"
Er holte tief Luft.
„Während unser lieber Ministerpräsident offenbar nach der Maxime verfährt: Hilf dir selbst ... - und so weiter. Und sich als Finanzminister privat an einem Immobiliengeschäft beteiligt haben soll, um am Neubau der Sachsen LB mitzuverdienen und sich das Geld für seine ..." Er lachte: „Investition von der sächsischen Landesbank selbst geborgt hat. So ungefähr, als würde ich dir Geld leihen, damit du mir ein Haus baust, wo ich dann an dich Miete zahle. Aber für unseren Georg ist das kein - wieder so ein Wort - Interessenkonflikt. Weißt du, Biedenkopf musste gehen, weil er bei IKEA einen Rabatt wollte. Und jetzt so was!"
Aber genau das ist doch Politik. Biedenkopf musste nicht gehen, weil er Rabatt wollte, sondern weil die Leute sich darüber aufgeregt haben. Mit Politikverdrossenheit hat das nichts zu tun. Politik ist auch, die aus dem Amt zu jagen."