Junge Welt, Inland / Seite 8, 16.04.2008
»Wir müssen in Sachsen nicht Ypsilantieren«
SPD setzt auch nach Rücktritt von Georg Milbradt auf Zusammenarbeit mit der CDU. Ein Gespräch mit Karl Nolle
(Karl Nolle ist Mitglied des sächsischen Landtages für die SPD)
### Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hat für Ende Mai seinen Rücktritt angekündigt. Das ist auch ein Erfolg Ihrer politischen Arbeit, oder?
NOLLE: Das ist das Ergebnis meiner konsequenten Arbeit im Untersuchungsausschuß. Dort hat das Parlament die Regierung zu kontrollieren, das gilt auch für Regierungsparteien. Denn »Demokratie ist Kontrolle von Macht«, wie es Willy Brandt einmal sagte. Ich habe Fragen zu stellen und habe dies auch bei Herrn Milbradt getan. Für die Antworten und deren Folgen ist er selber verantwortlich.
### Die SPD hat in der Vergangenheit immer mal wieder mit einem Bruch der großen Koalition in Sachsen gedroht, jedoch nie Standhaftigkeit bewiesen. Hat Ihre Fraktion dem Ministerpräsidenten zu lange den Rücken gestärkt?
NOLLE: Die CDU hat dieses Land 14 Jahre lang mit absoluter Mehrheit regiert. Diese alleinige Macht 2004 verloren zu haben. war für sie ein Schock. Die Erfahrung, auf Partner angewiesen zu sein, war für die Christdemokraten völlig neu. Denn bis dahin galt für sie immer, »Demokratie ist, wenn wir die Mehrheit haben«. Für die CDU war es ein schwieriger Weg, zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit in einer Koalitionsregierung zu finden. Denn eine Koalition ist keine Mehrheitsveranstaltung, sondern ein Konsensprojekt. Eine Koalition läßt sich auch nicht nach Gutsherrenart führen, sondern nur auf Augenhöhe. Hier gab es immer wieder unerträgliche Vorfälle.
### Und Sie glauben, daß sich das Verhalten der CDU nun ändert?
NOLLE: Es besteht die Chance, daß wir mit diesen Erfahrungen und mit einem neuen Ministerpräsidenten zur notwendigen partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der Union finden werden. Wir haben die Koalition nicht infrage gestellt, aber zunehmend die Person des Ministerpräsidenten. Das Problem zu lösen, war Aufgabe der CDU, nicht unsere.
### Die Opposition fordert schnellstmögliche Neuwahlen. Ihre Partei lehnt dies bislang ab. Ist die sächsische große Koalition nach den diversen Skandalen – Stichwort »Sachsensumpf« und Verkauf der Sachsen LB – noch demokratisch legitimiert?
NOLLE: Es gibt eine stabile Mehrheit im Parlament, wir müssen nicht Ypsilantieren, und wir haben eine Reihe von Erfolgen unseres Einflusses in der Regierung vorzuzeigen. Warum sollten wir neu wählen? Nein, die SPD will besser und stärker werden und noch erkennbarer die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Daß Moral und Verantwortung in der Politik nicht verhandelbar sind, dafür haben wir in den letzten Wochen viel Zuspruch im Lande bekommen. Da werden wir nicht nachlassen.
### Wie hoch schätzen Sie die Kosten, die aufgrund der verfehlten Politik Milbradts in bezug auf die Sachsen LB auf den Freistaat, besser gesagt, die Steuerzahler, zukommen?
NOLLE: Im schlechtesten Fall etwa fünf Milliarden Euro. Unklar ist nur, ob jetzt, mittelfristig oder später. Die Bank ist praktisch weg. Das Dubliner Pokerspiel mit Risikoübernahme durch den Steuerzahler ist vorbei. Nur die Hasardeure laufen noch fröhlich rum. Bei manchem Zeugen im Untersuchungsausschuß habe ich mich richtig gefreut, daß er sich wenigstens noch an den Namen der Bank erinnern konnte. Die in Dublin versenkten Milliarden der sächsischen Finanzgenies sind eine Warnung und schlechtes Beispiel, wie man nicht mit den Solidarpaktmitteln und dem Aufbau Ost umgehen sollte.
### Die Linksfraktion hat der SPD mehrfach die Zusammenarbeit angeboten, ist jedoch bisher auf taube Ohren gestoßen. Wäre eine »rot-rote« Koalition nach der nächsten Wahl für Sie denkbar in Sachsen?
NOLLE: Ein Zukunftsmodell wäre ein Koalitionsmodell mit den Parteien, mit denen es größtmögliche inhaltliche Schnittmengen und eine verläßliche Mehrheit im Parlament gibt. Voraussetzung ist für uns jedoch nach wie vor eine starke SPD, die wieder Schutzmacht der kleinen Leute wird und die die neoliberalen Irrwege der vergangenen Jahre verlassen hat. Denn eben diese Irrwege waren doch unter Schröder and friends die Geburtshelfer der Linken. Daran arbeite ich, und dann schauen wir mal.
Interview: Markus Bernhardt