stern.de, 16:57 Uhr, 14.04.2008
Sachsens Ministerpräsident Milbradt stürzt über sein "Baby"
Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt ist über sein Steckenpferd, sein "Baby" gestolpert: Die zahlreichen Affären um die Landesbank, die Milbradt stets eng begleitet hatte, machen aus Sicht von Gegnern deutlich, dass der Westfale "nicht nur kein guter Politiker, sondern auch kein guter Finanzfachmann" war.
Es dauerte keine vier Minuten, dann war alles vorbei. Georg Milbradt nickte kurz, drehte den im großen Saal der Staatskanzlei aufgebauten Mikrofonen den Rücken zu und verschwand durch eine große Glastür in einem langen Gang, abgeschirmt von Sicherheitsleuten und Vertrauten. Während der eben zurückgetretene sächsische Ministerpräsident optisch immer kleiner wurde und sich die für Punkt zwölf Uhr mittags zur eilig einberufenen Pressekonferenz herbeigeeilten Journalisten um Sachsens Regierungssprecher Peter Zimmermann scharten, rollte ein Staatskanzleimitarbeiter schon wieder die Landesflagge zusammen, die sich schräg hinter Milbradt zuvor leicht im Luftzug bewegt hatte.
Nur wer genau hinschaute, konnte sehen, wie sehr ihn der kurze Auftritt bewegte. Gefasst und konzentriert trat er an die Mikrofone, um sein kurzes Statement zu verlesen Fragen hatte die Staatskanzlei nicht zugelassen. Nach etwa einer halben Minute allerdings fingen seine Hände, die das vorbereitete Redemanuskript zuvor eher locker gehalten hatten, zu zittern an. Mit dennoch fester Stimme verkündete Milbradt seinen Rücktritt von allen seinen Ämtern. Er habe sich entschlossen, "16 Monate vor der nächsten Landtagswahl die Amtsgeschäfte als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen und als Vorsitzender der sächsischen CDU an einen Nachfolger zu übergeben", sagte Milbradt. Dieser Nachfolger solle Finanzminister Stanislaw Tillich, 49, werden. Er sei "ein kraftvoller und erfahrener Politiker, der den Freistaat weiter voranbringen kann", betonte Milbradt.
Tillich war es auch gewesen, der kurz nach seinem Amtsantritt als sächsischer Finanzminister im Herbst 2007 gemeinsam mit Milbradt die sächsische Landesbank abwickeln musste. In einer dramatischen Rettungsaktion hatte das Duo die im Zuge der Hypothekenkrise angeschlagene Sachsen LB vor der Schließung durch die Finanzaufsicht bewahren und mit einem Notverkauf an die Landesbank Baden- Württemberg (LBBW) zumindest die Mehrzahl der ursprünglich 600 Arbeitsplätze retten können.
Dass es trotzdem die Landesbank war, die Milbradt schließlich den Kopf kostete, bezweifelt in Dresden allerdings niemand: Übers Wochenende war bekannt geworden, dass die LBBW höchstwahrscheinlich einen großen Teil der Bürgschaft in Höhe von 2,75 Milliarden Euro, mit der der Freistaat und damit Milbradt den Notverkauf absicherte, ziehen wird. LBBW-Vorstandschef Siegfried Jaschinski hatte der "Financial Times Deutschland" gesagt, er rechne im schlimmsten Fall mit Ausfällen von 1,2 Milliarden Euro. Selbst im besten Fall würden es aus heutiger Sicht aber "wohl einige Hundert Millionen Euro werden", sagte er.
Die sächsische Landesbank hat seit 2004 immer wieder mit Skandalen und Affären Schlagzeilen gemacht. Ein Untersuchungsausschuss des Landtages befasst sich seit geraumer Zeit mit der Frage, wie es um den politischen Einfluss auf die Bank und vor allem die Kontrolle des Instituts bestellt war, das als Milbradts persönliches "Baby" gilt. Hatte sich der Ministerpräsident Ende März bei seiner zweitägigen Aussage vor dem Ausschuss noch recht wacker schlagen können, brachte jetzt offenbar ein bekannt gewordenes Insidergeschäft das Fass auch innerhalb Milbradts eigener Partei zum Überlaufen.
Der gebürtige Westfale und seine Frau hatten sich in seiner Finanzministerzeit in den 90er Jahren damals war Milbradt qua Amt auch Aufsichtsratschef der Sachsen LB an Fonds der Landesbank beteiligt und dafür beim Institut Kredite in Höhe von 172.000 Euro aufgenommen. Zwar ist das Investment nach Einschätzung von Experten juristisch nicht zu beanstanden, war jedoch moralisch als bedenklich eingestuft worden. Eine vom Koalitionspartner SPD erwartete öffentliche Erklärung dazu hatte Milbradt wiederholt abgelehnt.
Über das Wochenende hatte dafür aber offenbar der bereits seit Langem latent schwelende Ärger in der eigenen Partei massiv zugenommen. Auch wenn Regierungssprecher Peter Zimmermann betont, der Entschluss für den Rücktritt habe schon länger festgestanden und niemand habe Druck ausgeübt, lassen die Fakten andere Schlüsse zu. Zwar sprach auch Milbradt, der den Parteivorsitz zum 24. Mai und das Amt des Ministerpräsidenten zum 28. Mai abgeben will, in seiner Rücktrittserklärung davon, mit einem "geordneten und harmonischen Übergang" bei sich und anderen "Verletzungen vermeiden zu wollen". Gleichzeitig bestreitet in Dresdner Regierungskreisen aber niemand, dass es erst gestern Abend in Milbradts Privathaus eine Krisensitzung der sächsischen CDU-Granden gegeben hat. Dabei soll es "hart zur Sache gegangen sein", sagt ein Insider.
Neben CDU-Fraktionschef Fritz Hähle und CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer seien alle bislang als Milbradt-Nachfolger gehandelten Politiker in dessen Wohnzimmer versammelt gewesen: Finanzminister Stanislaw Tillich ebenso wie Kultusminister Steffen Flath und der Chef von Angela Merkels Bundeskanzleramt, Thomas de Maizière. Diese Runde habe sich schließlich nach "engagierter Diskussion" auf Tillich geeinigt.
Das Ergebnis: Am Vormittag trudelte in den Redaktionen des Freistaats die Einladung in die Staatskanzlei ein. Zeitgleich, heißt es aus Regierungskreisen, sei auch der Koalitionspartner SPD - Landeschef Thomas Jurk ist stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Freistaats - telefonisch informiert worden.
Während die Linkspartei, die im sächsischen Landtag als Oppositionspartei die große Koalition gerne an den Pranger stellt, bereits Neuwahlen fordert, gibt es von den anderen beiden Oppositionsparteien Grüne und FDP sogar eine Art hämischen Beifall. Tenor: Mit seinem Rücktritt handele Milbradt richtig - nur eben wie immer viel zu spät. Überhaupt braucht sich der Ex-Ministerpräsident um mangelnde hämische Begleitung aktuell wenig Sorgen zu machen: Bereitwillig kramen Milbradts Parteifreunde jetzt jenen Spruch seines Amtsvorgängers Kurt Biedenkopf hervor, mit dem Biedenkopf Milbradt nach internen Machtkämpfen 2001 aus der sächsischen Landesregierung geschmissen hatte: Der Westfale sei "ein guter Finanzfachmann, aber ein miserabler Politiker". Da, sagt ein CDU-Grande hämisch grinsend, gebe es jetzt wohl "einen gewissen Korrekturbedarf".
In diese Kerbe hatte in den Tagen vor dem Rücktritt auch der Koalitionspartner SPD kontinuierlich gehauen. Pünktlich zur Milbradt-Vernehmung im Untersuchungsausschuss Ende März hatte Generalsekretär Dirk Panter im Interview mit der "Sächsischen Zeitung" gesagt, das Bild vom "Finanzgenie Milbradt" lasse sich "nur noch schwer aufrecht erhalten".
Sein Parteichef Thomas Jurk war dagegen heute Nachmittag sichtlich bemüht, nicht noch einmal nachzutreten. Er zolle Milbradt "Respekt" für dessen Entscheidung und seine bisherige Arbeit, sagte er bei einer improvisierten Pressekonferenz auf dem Flur seines Ministeriums. Die Neuwahl-Frage stelle sich für ihn nicht. "Wir verfügen gemeinsam mit der CDU über eine stabile Mehrheit", betonte Jurk. Die SPD werde und wolle in der Koalition das Land weiter gemeinsam voranbringen. In den nächsten Wochen sei ausreichend Zeit, mit dem designierten Milbradt-Nachfolger und der CDU zu sprechen, wie die nächsten 16 Monate bis zur Landtagswahl politisch-inhaltlich zu gestalten seien, sagte der SPD-Landeschef. Weitere Kommentare lehnte Jurk, der bei seinem Statement von Generalsekretär Dirk Panter und Landtags-Fraktionschef Martin Dulig flankiert wurde, ab. Schließlich, so Jurk lächelnd, handele es sich um "Personalfragen" - und die seien, "nach gutem Brauch", ausschließlich Sache des Koalitionspartners.
Von Lars Radau, Dresden