Sächsische Zeitung, 30.04.2008
Warum die Justiz die Korruptionsverfahren einstellt
Die Staatsanwaltschaft sieht keine Anhaltspunkte für kriminelle Netzwerke in Leipzig.
Die Ermittlungen in der sogenannten Korruptionsaffäre werden eingestellt. Das teilte die Staatsanwaltschaft Dresden gestern mit.
Gegen wen hat die Justiz ermittelt?
Die Ermittlungen im Fallkomplex Leipzig richteten sich gegen den Präsidenten des Amtsgerichts Chemnitz, Norbert Röger. Er war früher Oberstaatsanwalt in Leipzig. Weitere Beschuldigte waren der pensionierte Vizepräsident des Landgerichts Leipzig, Jürgen Niemeyer, sowie der Leiter der Rechtsabteilung der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft, Martin Klockzin. Die Vorwürfe lauteten Verletzung von Dienstgeheimnissen, Strafvereitelung im Amt, sexueller Missbrauch von Kindern sowie Bestechung und Bestechlichkeit.
Was ist das Ergebnis der Untersuchungen?
Die Staatsanwaltschaft hat keine Anhaltspunkte für Straftaten der drei Hauptbeschuldigten gefunden. Das vom Verfassungsschutz vermutete „kriminelle Personennetzwerk“ hat es danach nie gegeben. Die Hinweisgeber des Verfassungsschutzes seien nicht in der Lage gewesen, die Verdachtsmomente zu bestätigen. Es habe sich herausgestellt, dass der Verfassungsschutz teilweise aus unbestätigten Quellen sowie aus bloßen Vermutungen einen Anfangsverdacht konstruiert hat. Den Vorwürfen habe eine Art „Verschwörungstheorie“ zugrunde gelegen, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Dresden, Erich Wenzlick. Auch die Fallkomplexe „Italienische OK“, „Plauen“ und „Rocker“ seien eingestellt worden.
Wie sind die ermittler vorgegangen?
Der Staatsanwaltschaft standen die Dossiers des Verfassungsschutzes zur Verfügung, die aber nichts Konkretes enthielten. Die zwölf Staatsanwälte, die an den Ermittlungen beteiligt waren, haben zum Fallkomplex Leipzig 90 Zeugen befragt: Verfassungsschützer, Richter, Staatsanwälte, Schöffen, Anwälte, Polizisten, Journalisten und ehemalige Prostituierte. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Christian Avenarius, wies Kritik zurück, die früheren Prostituierten seien rüde behandelt worden. Er nannte es ungeheuerlich, so zu tun, als ob die Staatsanwälte Vernehmungsmethoden „wie in Abu Ghraib“ angewendet hätten. Trotz der persönlichen Schicksale hätten die Zeuginnen kritisch befragt werden müssen. Gutachten zur Glaubwürdigkeit seien nur bei Kindern üblich.
Was waren die Motive des verfassungsschutzes?
Wenzlick nannte Eitelkeiten, Anfeindungen und einen gewissen Jagdtrieb als mögliche Motive der zuständigen Verfassungsschutzbeamtin und ihrer Hinweisgeber für die konstruierten Vorwürfe. Ausgangspunkt der Affäre war ein Grundstücksgeschäft in Leipzig Anfang der 90er Jahre. Daran waren mehrere Juristen beteiligt, die sich kannten. Für den Verfassungsschutz war das Anlass, ein Netzwerk zu vermuten. Das Grundstücksgeschäft war wiederum das Motiv für den Mordanschlag auf Wohnungsbau-Manager Klockzin. Angebliche Ungereimtheiten des Verkaufs sollen Einfluss auf die strafrechtlichen Ermittlungen des Anschlags gehabt haben. Laut Staatsanwaltschaft steht jetzt fest, dass das Grundstücksgeschäft sauber war. Auch der Prozess gegen die Hintermänner des Anschlags sei frei von illegaler Einflussnahme durch die Beschuldigten Röger und Niemeyer gewesen.
Ist die Affäre jetzt abgeschlossen?
Die Justiz prüft jetzt die Strafanzeigen wegen übler Nachrede gegen die verantwortliche Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, den Kripo-Beamten Georg Wehling als Quelle sowie gegen Journalisten. Auch gegen ehemalige Prostituierte liegen Strafanzeigen vor. Deren Behauptungen, die drei Hauptbeschuldigten seien Bordellkunden gewesen, sind laut Justiz unwahr. Die Landesregierung muss jetzt prüfen, ob sie der Schadensersatzforderung Rögers in Höhe von 250000 Euro nachkommt.
Von Karin Schlottmann