DNN/LVZ, 30.04.2008
Sachsen ohne Sumpf
Leitartikel von Bernd Hilder
Außer Spesen und ein bisschen politischem Aufruhr nichts gewesen? Aktendeckel zu, Affe tot? Es sieht ganz so aus, als sei der sogenannte Sachsensumpf nichts weiter gewesen als ein aufgeblasenes Schauermärchen von beamteten Gerüchtesammlern. Vielleicht sogar eine politische Intrige. Doch das wird kaum zu beweisen sein. Fest steht jedenfalls nach der Einstellung der allermeisten Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwälte des Freistaates: Einen nachweisbaren Sachsensumpf gibt es nach derzeitigen Erkenntnissen nicht. Wer daran jetzt noch Zweifel hegt, muss Beweise umgehend mitliefern – oder sollte schweigen. Der unbewiesene und offenbar unbeweisbare Inhalt von 15 000 Seiten Akten über organisierte Kriminalität in Sachsen ist jetzt auch amtlich kein Skandal. Dies ist eine späte Bestätigung und Genugtuung für Sachsens scheidenden Ministerpräsidenten Georg Milbradt, der fast von Anfang an davon ausging, die Vorwürfe würden in sich zusammenbrechen. Wahr ist aber auch: Der Umgang mit diesen Akten durch Verfassungsschutz, Polizei und zuständigem Ministerium bleibt weiter eine unangenehme, noch nicht restlos aufgeklärte Affäre für die Verantwortlichen.
Warum, fragt man sich, werden derart brisante Dossiers jahrelang unter Verschluss gehalten, aber rechtlich nicht bewertet und eingeordnet? Die ganze Aufregung hätte leicht vermieden werden können, ohne dass die in den Akten genannten Namen von verdächtigten Personen in die Öffentlichkeit gelangt wären. Dass die Akten schließlich vernichtet werden sollten, musste den Verdacht der Öffentlichkeit und einiger aufgeschreckter Politiker erregen. Wären sie unbearbeitet geschreddert worden, hätte dies dauerhaft das Vertrauen in den Freistaat und seine demokratischen Institutionen erschüttern können, weil Schuldzuweisungen und Verdächtigungen nie aufgehört hätten. Völlig unnötig wurde so Porzellan zerdeppert und Zweifel am ordentlichen Funktionieren von Behörden gesät. Als die Sache aufflog, befürchtete ein stolpernder Innenminister sogleich drastische Racheakte der Mafia in Sachsen, was die Stimmung zusätzlich anheizte und das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung erodieren ließ. Dass die Linke reflexartig und hinterhältig die Systemfrage stellte, bevor einer ihrer Wortführer später öffentlich Buße ablegen musste, hinterlässt ebenfalls einen faden Nachgeschmack.
Natürlich: Auch in Sachsen gibt es Schwerkriminalität und organisierte Kriminalität, Korruption und Vetternwirtschaft, regional unterschiedlich verteilt, so wie im Rest der Republik auch. Und wahrscheinlich ist auch, dass in den ersten Nachwendejahren im damals wilden Osten manche kriminelle Seilschaft das Aufbau-Chaos für ihre illegalen Machenschaften nutzte – und heute noch besteht. Aber ein spezieller Sachsensumpf muss nicht trockengelegt werden, weil es ihn nach heutigen Erkenntnissen nicht gibt. Was bleibt, ist eine deftige Aktenaffäre, die aber taugt beileibe nicht zur Staatskrise.
hilder.office@lvz.de