Sächsische Zeitung, 09.05.2008
Verkehrsminister als Verkehrspolizist
Vize-Ministerpräsident Thomas Jurk hat auf einer Dienstfahrt selbst einen Kradfahrer per Haltekelle gestoppt – und bekommt jetzt Ärger mit der Justiz.
Am meisten ärgert sich Thomas Jurk über sich selbst. „Das war eine Riesen-Dummheit, eine richtige Eselei von mir“, kommentierte der SPD-Verkehrsminister gestern auf SZ-Nachfrage zerknirscht seinen nächtlichen Eingriff in den Straßenverkehr, der nun ein juristisches Nachspiel hat. Die Generalstaatsanwaltschaft ist bereits eingeschaltet. Einer der möglichen Vorwürfe: Amtsanmaßung. Damit könnte dem Minister eine Geld- oder sogar eine Freiheitsstrafe drohen.
Was war geschehen? Am späten Montagabend hatte Jurk auf der Rückfahrt von Berlin sein Amt als Verkehrsminister etwas zu wörtlich genommen: Persönlich stoppte er per Haltekelle mit der Aufschrift „Halt Polizei“ vom Rücksitz seines Dienstwagens aus einen ihn ärgernden Motorradfahrer. Der Kradfahrer habe über fast 15 Kilometer immer wieder die Minister-limousine überholt und dann durch Abbremsen zum Überholen gezwungen, so Jurks Darstellung. Da habe er die Fensterscheibe heruntergelassen und mit der rot-weißen Kelle den Fahrer zum Halten aufgefordert. Der Haken dabei: Auch ein Verkehrsminister darf keine Polizei-Kelle mit sich führen und schon gar nicht andere Verkehrsteilnehmer stoppen. Das darf nur die Polizei.
Doch es geht noch weiter: In einer Autobahn-Abfahrt der A13 – noch auf brandenburgischem Gebiet – stellte Jurks Chauffeur den Kradfahrer zur Rede. Dessen Bitte, sich doch auszuweisen, sei Jurks Fahrer nicht gefolgt. Der Kradfahrer wiederum bat auch Jurk, der wegen Sicherheitsauflagen im VW-Phaeton warten musste, um seinen Namen. „Das muss ich Ihnen nicht sagen“, antwortete Jurk. Der Motorradfahrer fuhr davon.
Das Ganze wäre vielleicht nie öffentlich geworden, hätte den 57-jährigen Kradfahrer nicht noch am nächsten Tag die Stopp-Aktion durch die schwarze Limousine mit Görlitzer Kennzeichen so sehr gewurmt, dass er unbedingt wissen wollte, wer ihn da angehalten hatte. Da er vermutete, dass es sich wegen der Polizei-Kelle bei den Insassen nur um Polizisten in Zivil handeln konnte, wandte sich der in Brandenburg lebende Sachse hilfesuchend an die Bürgerbeauftragte des Innenministeriums und beschwerte sich dort. Das Innenministerium wiederum sah sich damit unter Zugzwang. Schon um nicht in den Verdacht der Strafvereitelung zu kommen, reichte es die Sache an die Staatsanwaltschaft weiter. Die hat nun eine große Auswahl möglicher Ansatzpunkte. Punkt eins: Amtsanmaßung – Jurk war nicht berechtigt, eine Polizei-Kelle einzusetzen. Punkt zwei: Nötigung – auch ein Minister darf keine anderen Verkehrsteilnehmer zum Halten zwingen. Punkt drei: gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – die „Aussprache“ vor Ort fand in einer Autobahnabfahrt statt und hätte damit andere gefährden können.
Jurk hat sich inzwischen persönlich bei dem Motorradfahrer entschuldigt – und der bei ihm. „Ich habe gelernt, dass auch ein Verkehrsminister nicht in den Verkehr eingreifen darf“, so Jurk. Spott und Häme des Koalitionspartners CDU erntete er dennoch. Ein solches Verhalten sei „weder legal noch legitim“, sagte der Landtagsabgeordnete Christian Piwarz und spielte damit auf Jurks Kritik an den privaten Bankgeschäften von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) an. Es bleibe die Frage, ob das Ganze nicht ein Hinderungsgrund sein könnte für Jurk, Ende Mai ins neue Kabinett berufen zu werden.
Von Annette Binninger