Neues Deutschland ND, 15.04.2008
Milbradt kündigt seinen Rücktritt an
Zu viele faule Kartoffeln - Verhagelte Ernte, maulendes »Gesinde«: Der Großbauer Milbradt trollt sich vom Hof.
Bäuerisch, hölzern, uncharmant – der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt, der jetzt zurücktritt, war in vielem ein Gegenentwurf zu seinem ungeliebten Vorgänger »König Kurt« Biedenkopf, den er nun ausgerechnet im Abgang nachahmt.
Am Ende schienen sogar die Rechenkünste zu versagen – und das bei einem Mann, der jahrelang als Finanzexperte gelobt wurde. Er sei stolz, dass er »vier Jahre diesem Land dienen konnte«, sagte Georg Milbradt, als er gestern fünf Jahre und 362 Tage nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident seinen bevorstehenden Rücktritt erklärte. Später stellte sich heraus, dass der mit steifem Schritt und im Gesicht festgefrorenem Grinsen vor der Presse erschienene Regierungschef selbst die zweiminütige Abschiedsrede nicht über die Runden brachte, ohne sich wie üblich zu verhaspeln: Laut Manuskript hatte er von »vielen Jahren« reden wollen.
Fast 18 Jahre hat der vormalige Stadtkämmerer von Münster die Politik im Freistaat mitbestimmt, 61 Prozent davon in durchaus verdienstvoller Rolle: Bis 2001 diente er im Kabinett Kurt Biedenkopf als Finanzminister. Als Erbsenzähler verrufen, sorgte er mit einem rigiden Sparkurs doch maßgeblich dafür, dass Sachsen heute das Bundesland im Osten mit der niedrigsten Verschuldung ist. Bis zum Debakel der in jener Zeit errichteten Landesbank sah es so aus, als ob das Land von der Rendite jener Politik gut würde leben können.
Als Milbradt jedoch nach Höherem – sprich: der Führungsrolle in Partei und Regierung – zu streben trachtete, schrieb ihm Biedenkopf einen Satz ins Stammbuch, der Milbradt bis heute anhängt: Er sei, so der Vorgänger, ein »hochbegabter Fachmann, aber ein miserabler Politiker«. Milbradt, der sich nach dem Rausschmiss mit Zähigkeit und einer nicht nur durch absolute Grappa-Abstinenz unter Beweis gestellten Selbstkasteiung an die Macht zurückkämpfte, suchte das Verdikt in den Folgejahren verbissen zu widerlegen – und bewies zuletzt nur, wie zutreffend es war.
Die Tragik Milbradts besteht darin, dass er sich stets an Biedenkopf messen lassen musste – und damit zum Scheitern verdammt war. Gab Biedenkopf den »kleinen König«, der quasi naturgemäß unter einer goldenen Krone auf dem Dach der Staatskanzlei residierte, dem Volk in schwierigen Zeiten mit monarchischem Pomp die Sinne benebelte und seine Parteifreunde mit visionären Vorlesungen über die Zukunft der Wasserversorgung in Nahost schwindlig, aber glücklich redete, so blieb Milbradt der Pfennigfuchser, der sich in Zahlen verlor, bei öffentlichen Auftritten steif und beim Versuch eines Smalltalks linkisch wirkte.
Dass Milbradt seine größte Popularität ausgerechnet während der Flut 2002 erlebte, als er in gelben Gummistiefeln durch verschlammte sächsische Kleinstädte hastete und den verzweifelten Bürgern Hilfe und Geld versprach, ist kein Zufall. Zum einen läuft der 63-jährige Professor, der sich einst attestierte, als Finanzminister »Hornhaut auf der Seele« entwickelt zu haben, erst in Krisensituationen zu absoluter Hochform auf – eine Eigenschaft, die beim Notverkauf der Landesbank Ende 2007 noch einmal aufblitzte. Zum anderen gilt, was der damalige PDS-Fraktionschef Peter Porsch schon in Erwiderung auf dessen erste Regierungserklärung im Mai 2002 über Milbradt sagte: Dieser sei kein König, sondern ein Großbauer. Er krempele schon einmal die Ärmel auf und esse mit dem gemeinen Volk aus einer Schüssel. Aber, so bemängelte Porsch, »die Mehrung des Besitzes ist ihm alles, die Menschen sind dafür das Gesinde«.
Im Land wurde Milbradt dafür nicht geliebt, schon gar nicht auf dem eigenen Hof: In der aus der »goldenen Ära« unter König Kurt verwöhnten CDU hielten sich hartnäckig Ressentiments gegen den sturen Sauerländer – zumal, nachdem die Landtagswahl 2004 unter seiner Führung vergeigt wurde. Erstmals seit 1990 war die Quasi-Staatspartei in eine Koalition gezwungen – mit einer SPD, die auf nur 9,8 Prozent zurechtgestutzt worden war, sich aber nicht unterstand, dem Milbradtschen Diktum zu widersprechen, wonach in Sachsen auch in einer vermeintlich Großen Koalition weiter CDU-Politik betrieben werde.
Die vergangenen zwölf Monate wurden schließlich Milbradts »annus horribilis«, in dem nicht nur die Ernte völlig verhagelt wurde, sondern auch das »Gesinde« zuerst murrte und dann zum Bauernaufstand überging. Zunächst wurde er getrieben von desaströsen Schlagzeilen über einen »sächsischen Sumpf«, dann krachte sein einstiger Stolz, die Landesbank, in sich zusammen. Dass deren Notverkauf als strahlender Erfolg beschönigt wurde, verstörte Partei und Fraktion ebenso wie Milbradts Privategeschäfte. Nur die Angst vor einem erneuten »Königsmord« und eine unklare Nachfolgefrage verhinderten ein früheres Ende.
Gemahnt wurde Milbradt indes schon im Dezember. Ausgerechnet der SPD-Abgeordneten
Karl Nolle sagte, Milbradt solle aufpassen, dass er nicht »wie ein starrköpfiger Altbauer mit dem Trecker vom Hof gezogen werden muss«. Jetzt nun wurde angeschirrt.
Der Amtswechsel
Das Datum für den Wechsel gab Georg Milbradt gestern nur verklausuliert bekannt: »16 Monate vor der nächsten Landtagswahl« wolle er die Geschäfte als Ministerpräsident und CDU-Chefübergeben. Da im Freistaat im September 2009 gewählt wird, steht die Übergabe im Mai an.
Laut CDU-Fahrplan soll der designierte Nachfolger Stanislaw Tillich zunächst auf einem bereits angesetzten Parteitag am 24. Mai an die Spitze der CDU rücken. Im Landtag könnte er am 28. Mai als Regierungschef gewählt werden.
Laut Verfassung ist für die Wahl als Ministerpräsident im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit nötig, danach reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Milbradt erhielt im November 2004 nur 62 von 122 Stimmen; fünf Mitglieder der CDU/SPD-Koalition verweigerten ihre Zustimmung. Ein NPD-Bewerber erhielt zwei Stimmen mehr, als die Partei Abgeordnete hatte. Erst im zweiten Anlauf gelangte Milbradt ins Amt.
Nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten erneuerte gestern die LINKE ihre Forderung nach vorgezogener Neuwahl. Auch FDP und NPD verlangten, früher zu wählen. Dafür stellt die sächsische Verfassung freilich hohe Hürden auf. Zu Neuwahlen kommt es entweder, wenn innerhalb von vier Monaten nach einer Landtagswahl »oder nach der sonstigen Erledigung des Amtes des Ministerpräsidenten« (sprich: Rücktritt) alle Versuche, einen Nachfolger zu bestimmen, scheitern – oder wenn zwei Drittel der Abgeordneten dies verlangen. Von Hendrik Lasch, Dresden