DNN/LVZ, 18.06.2008
Führen Stimmzettel in die Irre?
Ärger um OB-Wahl: SPD-Politiker droht mit juristischer Wahlanfechtung / Linke wittert Morgenluft
Seit gestern ist Dresdens OB-Wahlkampf kurz vor der Neuwahl am Sonntag wieder spannend. Wird der Bürger durch die Stimmzettel getäuscht? Wird der Linke-OB-Kandidat Klaus Sühl benachteiligt? Droht nach der Neuwahl am Sonntag auf juristischem Wege eine erneute Neuwahl?
Dem selbst ernannten Chefaufklärer im Sächsischen Landtag, Abgeordneter
Karl Nolle (SPD) fiel beim Ausfüllen seines Briefwahlzettels als „Bürger Nolle" (so Nolle) auf: In der ersten Spalte steht übergroß und fett gedruckt zunächst der Name der Partei, der Kandidat ist eher im Kleingedruckten vermerkt. Das erwecke den Eindruck, es gehe in erster Linie um eine Parteiwahl, nicht um Personen. Das Kommunalwahlgesetz sage aber etwas anderes: „Die Person hat Priorität, nicht die Partei." Als Beleg führte der 63-Jährige den Musterwahlzettel des Innenministeriums an: Dort werde deutlich zwischen Wahlvorschlag und Kandidaten getrennt. Und nur die Bewerber würden fett gedruckt. Als Schützenhilfe organisierte Nolle flugs zwei juristische Gutachten, die seine Rechtsposition stützen.
Beide Juristen — Stefan Ansgar Strewe (esb Rechtsanwälte) und Lothar Hermes — kommen zu dem Schluss: Es liegt ein Fehler vor, der zwar nicht mehr geheilt, aber korrigiert und relativiert werden kann, wodurch eine mögliche Wahlanfechtung keinen Erfolg mehr haben würde. „Die Gestaltung des Stimmzettels stellt einen erheblichen Wahlfehler dar, der auf den Wahlausgang Einfluss haben kann, möglicherweise sogar wahlentscheidend ist", so Strewe. Bestehe zwischen der CDU-Kandidatin Helma Orosz und Linke-Kandidat Klaus Sühl nur zehn bis 15 Prozent Unterschied, sei der Wählerwillen nur fehlerhaft abgebildet. Nolle bringt es auf den Punkt: „Ich wähle als Sozialdemokrat nicht die Linke, sondern den Kandidaten Klaus Sühl."
Doch es gebe eine Lösung. Wahlleiter Detlef Sittel (CDU) müsse den Fehler
eingestehen und in den Medien und den Wahllokalen darüber zu informieren. Eine Heilung sei dadurch zwar nicht mehr möglich,so Nolle mit Verweis auch auf die Briefwähler, aber eine Relativierung. Im Rathaus „müssen ein paar Leute gepennt haben", wettert Nolle. Man könnte gar unterstellen, es handele sich um anipulation zugunsten der CDU-Kandidatin.
Klaus Sühl jedenfalls fühlt sich durch die Wahlzettel benachteiligt. Gestehe
die Stadt ihren Fehler ein, werde er die Wahl nicht anfechten. Ansonsten halte
er sich alle Optionen offen. Nolle setzte der Stadt bis Freitag eine Frist,
drohte damit, einen Tag vor der Neuwahl, am Sonnabend, die Wahl anzufechten.
Damit könne vorerst kein amtliches Endergebnis festgestellt werden. Anfechten könne die OB-Wahl jeder Kandidat, aber auch jede Einzelperson. Letztere müsse hundert Unterschriften sammeln.
Auf die DNN-Frage, inwieweit der Musterwahlzettel des Freistaats rechtsverbindlich sei, antwortete Strewe, es handele sich um eine Soll-Vorschrift, letztlich um eine Ermessensfrage.
Die Stadt hingegen hält die Wahlzettel für gesetzeskonform. Diese Form werde seit 1994 verwendet. Nie habe es eine Beanstandung gegeben, auch nicht vom Regierungspräsidium, der für die Wahlprüfung zuständigen Behörde.
Das wiederum sei kein Beleg für die Korrektheit des Stimmzettels, kontert Nolle. Sühl indes verwendet auf seinen Plakaten keinen Hinweis mehr auf seine Partei Die Linke. Er hofft darauf, am Sonntag viele Grüne und SPD-Genossen als Wähler gewinnen zu können.
Von RALF REDEMUND