Tagesspiegel, 15.04.2008
Georg Milbradt: Den letzten Kredit verspielt
Er holte Investoren ins Land, und er führte Sachsen aus dem Schuldenloch. Georg Milbradt war ein geachteter Finanzexperte, geliebt wurde er selbst in seiner CDU nie. Seit dem Beinahe-Bankrott der Sachsen LB strauchelte der Ministerpräsident. Er tritt zurück, seine Parteifreunde atmen auf.
Georg Milbradt kommt um Punkt zwölf Uhr in die Englische Bibliothek in der Staatskanzlei, an einen Ort, an dem er bessere Auftritte hatte als den, der gleich folgen wird. Er hat hier ausländische Staatsgäste empfangen und Wirtschaftslenker, Spitzenvertreter der Europäischen Union.
Drei Minuten und eine kurze Erklärung später verlässt er jenen Raum wieder, mit steifem Schritt und einem Lächeln, das ihm sichtbar misslingt, und in diesem Moment steht fest, dass dies einer seiner letzten Auftritte als sächsischer Ministerpräsident war. Georg Milbradt hat angekündigt zurückzutreten.
Er braucht 305 Worte, um einen Schlussstrich unter 18 Jahre politische Arbeit in Sachsen zu ziehen. Auf dem Stehpult vor ihm liegt eine Mappe mit einer zweiseitigen Erklärung, die Milbradt verliest. Es ist der Versuch, die Erfolge seiner Regierungszeit hervorzuheben. Erfolge, die er trotz Komplikationen erzielt habe, darauf legt er Wert. Der „schwierige Weg“ nach der Wahl 2004 in einer Koalition mit zwei so verschiedenen großen Parteien wie der CDU und der SPD. Die weltweite Finanzkrise, bei der mit dem Verkauf der Sachsen LB, der Landesbank, „sehr schnell und beherzt gehandelt“ werden musste, um „Schaden von unserem Land abzuhalten“.
Über jene Schäden allerdings, die er selbst in diesem Land und in seiner Partei angerichtet hat, über die Vorwürfe wegen seiner Geschäfte mit der eigenen Landesbank, verliert Georg Milbradt an diesem Montagmittag kein Wort. Es passt zu einem, der oft eingekapselt schien in der Welt in seinem Kopf.
In Milbradts Umfeld heißt es, er habe die Entscheidung selbst getroffen. Er sei nicht gedrängt worden, von niemandem, auch nicht von der Bundespartei, der Bundeskanzlerin also. Angeblich hat er schon seit Tagen und Wochen immer wieder über einen vorzeitigen Rücktritt nachgedacht. Die endgültige Entscheidung fiel demnach am vergangenen Wochenende.
Für Sonntagabend 19 Uhr lud Milbradt mehrere Vertraute in sein Haus in Dresden-Pappritz am östlichen Dresdner Stadtrand ein. Fritz Hähle, Fraktionschef, Generalsekretär Michael Kretschmer, die Minister Steffen Flath und Stanislaw Tillich sowie Kanzleramtsminister Thomas de Maizière waren zugegen, als Milbradt seine Entscheidung mitteilte.
Ein anderer Ausweg schien auch ihm nicht mehr möglich. Seit Monaten sind die Sachsen aus den politischen Turbulenzen nicht mehr herausgekommen. Und von welcher Seite man die Probleme auch betrachtete: In ihrem Zentrum war immer der Regierungschef zu erkennen, Georg Milbradt.
In der vergangenen Woche hatte er noch einmal versucht, das scheinbar Unabwendbare zu verhindern. Er griff den Koalitionspartner an. Er warf den Sozialdemokraten vor, durch ständige Attacken gegen seine Person das Regierungsbündnis zu sabotieren. Es war ein Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken und den Schwarzen Peter der SPD zuzuschieben. Es war der Versuch, Entschlossenheit und Führungsstärke zu demonstrieren. Milbradt wollte die Zauderer und Kritiker in der CDU wieder für sich gewinnen. Das misslang. Der Versuch war durchsichtig. Und Milbradt war die Legitimation für solche Anschuldigungen längst abhandengekommen.
Er war wegen des Debakels der Sachsen LB zunehmend unter Druck geraten. Und vor gut einer Woche wurden private Geschäfte öffentlich, die er Mitte der 90er Jahre über einen Fonds der Landesbank abgewickelt hatte. Die Opposition im sächsischen Landtag wirft ihm Insidergeschäfte vor.
Die Dresdner Staatskanzlei verlautbarte, dass es auch einem Regierungschef gestattet sein müsse, private Geldgeschäfte zu tätigen und dass es umso besser sei, wenn er im eigenen Bundesland investiere. Das stimmt – und ist doch falsch.
Denn Milbradt und seine Ehefrau beteiligten sich an einem geschlossenen Immobilienfonds, mit dem der Bau eines Verwaltungsgebäudes in der Leipziger Innenstadt finanziert wurde. Späterer Mieter: die Sachsen LB. Anders als bei vielen notleidenden Fonds durften die Anleger eine zuverlässig hohe Rendite von 9,3 Prozent erwarten – dank des Mietpreises, den die Landesbank Monat für Monat garantierte. Milbradt war damals als sächsischer Finanzminister automatisch Verwaltungsratsvorsitzender der Sachsen LB.
Ein fragwürdiger Vorgang, den Milbradt auch den eigenen Parteifreunden zuletzt kaum noch erklären konnte. Und viele von ihnen spürten in ihren Heimatorten in der Kneipe, beim Nachbarn oder im Feuerwehrverein die Entrüstung der Leute. Ob der Fall die Justiz beschäftigen wird, ist noch nicht absehbar. Doch er kann für einen, der an der Spitze steht, moralisch verwerflich sein. Und ihn politisch untragbar werden lassen.
In Milbradts Partei ist das Aufatmen am Montag deutlich spürbar. „Wir sind wirklich erleichtert“, sagt ein hoher Unionsmann. „Mit dem Schritt hat Milbradt nicht nur sich selbst einen guten Dienst erwiesen, sondern auch seiner Partei.“ Milbradt war nie der Landesvater, der sein Vorgänger war, Kurt Biedenkopf. Milbradt galt von Anfang an als kommunikationsunfähig, hölzern und starrsinnig. Den Ruf ist er nie losgeworden. „Biedenkopf begeisterte die Leute, indem er sagte: Ihr Sachsen seid großartig! Und nun hatten sie solch einen Trauerkloß am Hals“, sagt ein Dresdner CDU-Mann.
Milbradt hatte seine Verdienste als langjähriger Finanzminister, der er von 1990 bis 2001 war. Das bestreiten auch jene nicht, die ihm nicht so wohlgesonnen sind. Er hatte Sachsen aus dem Schuldenloch geführt und maßgeblich geholfen, ein boomendes ostdeutsches Vorzeigeland zu entwickeln, bei dem die Investoren anstanden.
Diesen Ruf begann Milbradt im vergangenen Jahr zu verlieren. Missmanagement und der Notverkauf der Sachsen LB kosteten ihn sein Image als ausgewiesener Finanzexperte, als letzter Kredit blieb ihm nur noch die moralische Unangreifbarkeit. Als vor einer Woche auch Milbradts Geschäfte mit der Landesbank bekannt wurden, war auch dieser Kredit aufgebraucht. In der CDU fragten sie sich, wie sie mit einem solchen Spitzenkandidaten bei den nächsten Landtagswahlen im Herbst 2009 einen Blumentopf gewinnen sollen.
Auch in der Bundes-CDU verlor Milbradt die Rückendeckung. Angela Merkel hatte sich trotz seiner Dauerkrisen in den vergangenen Monaten nie dazu bemüßigt gefühlt, ihn öffentlich zu stützen. Bundespolitisch ist Milbradt wegen seiner Probleme im eigenen Land in den vergangenen anderthalb Jahren kaum noch mit konstruktiven Beiträgen durchgedrungen. In der Parteispitze galt er seit geraumer Zeit als Problemfall. Ein ausgewiesener Finanzfachmann, gewiss, aber politisch wenig kreativ, stur, mit Neigung zu missionarischer Besserwisserei. Als Milbradt am Wochenende seine Rücktrittsabsicht nach Berlin meldete, versuchte dort niemand, ihn umzustimmen.
Die Frage war nicht mehr, ob er geht, sondern wer auf ihn folgen würde. Kultusminister Steffen Flath, 51 Jahre, Erzgebirgler? Oder sogar Thomas de Maizière, in Sachsen zuletzt Innen- und jetzt in Berlin Kanzleramtsminister? Er habe sich nach „intensiver Überlegung, Erörterungen im Kreise meiner Familie“ und Rücksprache mit der Bundeskanzlerin „eindeutig dafür entschieden“, seine Arbeit als Chef des Bundeskanzleramts fortzuführen, teilte de Maizière am Montagnachmittag mit. „De Maizière ist hier inzwischen zu wichtig geworden“, sagt ein Kenner. „Und außerdem – die Sachsen wollten jetzt einen Sachsen haben und nicht schon wieder einen Import.“
Nun soll Stanislaw Tillich, 49 Jahre alt, das Land aus seiner politischen Erstarrung befreien, die Koalition aus CDU und SPD wieder handlungsfähig machen und zahlreiche weitere Krisen bekämpfen. Unter anderem arbeiten zwei Untersuchungsausschüsse Verfehlungen auf, die die Regierungen seiner Vorgänger überschatten: der eine betrifft das Missmanagement der Sachsen LB, der andere eine Verfassungsschutzaffäre. Alles in allem ziemlich viel für einen, der bislang wenig Gelegenheit hatte zu brillieren und der im Berliner Politkbetrieb so gut wie unbekannt ist.
„Ich will der Ministerpräsident aller Sachsen sein“, kündigte Tillich zwei Stunden nach Milbradts Rücktrittsankündigung im Finanzministerium an. Er wolle politische Gräben überwinden, auch in der eigenen Partei. Tillich ist so etwas wie ein Konsenskandidat, mit dem sie alle in der Sachsen-CDU leben können. Der Sorbe war einst von Biedenkopf ins Kabinett geholt worden. Sein Wechsel in die Staatskanzlei sehen auch die Biedenkopf-Anhänger in der Partei mit Genugtuung , die Milbradt nur zähneknirschend akzeptiert hatten. In der Fraktion scheint Tillich über Rückhalt zu verfügen. Und er gilt als telegener als Milbradt. Beim Wahlvolk, so die Hoffnung der CDU, werde er besser als Milbradt ankommen.
Zunächst einmal wird Tillich das Regierungsbündnis in Dresden wieder kitten. Das wird kompliziert genug. CDU und SPD sind kaum eine Zweckgemeinschaft. Der gemeinsame Koalitionsvertrag weist wenig konkrete Ziele aus. Und in jüngster Zeit vertieften sich die Gräben in einer Weise, dass Abgeordnete, Bürgermeister oder politisch interessierte Sachsen zunehmend alarmiert sind, die den Aufstieg Sachsens zum ostdeutschen Musterland gefährdet sehen.
Eines war den demokratischen Parteien im Landtag in der Vergangenheit immerhin gemeinsam gelungen: die NPD im sächsischen Parlament zu marginalisieren. Insofern ist der Triumph, mit dem die Rechtsaußen Milbradts Rücktritt kommentieren, ein wenig weltfremd. Sie erhoffen sich bei den Kreistagswahlen im Juni nun „gute Aussichten“. Verfassungsschützer widersprechen nur schwach. Zwar habe die sächsische NPD im vergangenen Jahr mehr als ein Sechstel ihrer Mitglieder verloren, außerdem liege sie in Umfragen unter fünf Prozent. Doch Milbradts Scheitern „kann die Bindewirkung der Union nach rechts erschüttern“, sagt ein erfahrener Verfassungsschützer und warnt: Der Fall Milbradt spiele „nicht nur der Linkspartei in die Hände, sondern auch der NPD“.
Von Lars Rischke, Dresden, und Matthias Schlegel, Berlin
Mitarbeit: R. Birnbaum, F. Jansen