DER SPIEGEL 28/2008, Seite 54, 06.07.2008
"Richtig vor die Glocke" - Die NPD müht sich um ein biederes Image.
In Wahrheit ist die Partei von Neonazi-Schlägern durchsetzt - wie ein Prozess in Dresden zeigt.
Mit seinem roten Kapuzen-Sweatshirt und dem raspelkurz rasierten Schädel wirkt Tom W. nicht wie ein Schläger. Der drahtige junge Mann wird dennoch in Handschellen in den Saal 1.99 des Dresdner Landgerichts geführt. Er sitzt zurzeit in Chemnitz in Untersuchungshaft, weil er wieder einmal auf einen Passanten eingeprügelt haben soll.
Es ist nur eine von vielen Straftaten, die die Staatsanwälte in Sachsen dem 20-Jährigen zur Last legen. Tom W. gilt als Kopf eines neonazistischen Rollkommandos, das über ein Jahr lang in der Region um Chemnitz Angst und Schrecken verbreitete. Und Tom W. war bis vergangenes Jahr Mitglied der rechtsextremen NPD. Deswegen beschäftigte die 14. Große Strafkammer des Landgerichts am vergangenen Donnerstag nicht nur die Frage, ob W. mit seinen vier Mitangeklagten eine kriminelle Vereinigung gründete, die Hatz auf Ausländer, Linke und Punks machte. Die Richter wollen dabei auch die Rolle der NPD klären.
"Sturm 34" nennt sich der braune Jungsturm, der Name ist einer SA-Einheit aus der Region Chemnitz entlehnt - und wie Polit-Schläger sollen NPD-Mitglied W. und seine Kameraden auch aufgetreten sein. Ihre Opfer wurden durch "Skinheadkontrollrunden" zwischen März 2006 und April 2007 aufgespürt und anschließend zusammengeschlagen. Allein der Überfall auf ein Dorffest in Breitenborn im Juni 2006 endete mit acht Verletzten, die Platzwunden am Kopf, Schnittverletzungen und Schwellungen aufwiesen.
Die blutigen Details über den rechten Terror, mit dem "Sturm 34" systematisch die sächsische Provinz überzog, werden nun für die NPD zum Problem. Denn die rechtsextreme Partei, die seit 2004 im Dresdner Landtag sitzt, müht sich verzweifelt um ein biederes Image, das Wählerstimmen und damit die Existenz der Braunen sichern soll. "Solche Aktionsformen halte ich für völlig inakzeptabel", rügte NPD-Chef Udo Voigt vor sechs Wochen braune Schlägertrupps, die Prügeleien angezettelt hatten. Und auch die Truppe um Voigts Vize, den sächsischen NPD-Fraktionschef Holger Apfel, ist um vornehme Distanz bemüht, wenn besoffene Kameraden wieder einmal prügelnd und grölend durchs Erzgebirge ziehen.
Wie es scheint, hat sich die sächsische NPD mit den Annehmlichkeiten des parlamentarischen Lebens im verhassten "BRD-System" bestens arrangiert. Und so versuchte man sich auch eilig in Schadensbegrenzungstaktiken, als im April die hässliche Nähe zwischen Partei und Pöbel erstmals publik wurde. "Sturm 34" sei eine "unpolitische Chaotentruppe", distanzierte sich die Partei, die "in unseren Reihen nichts verloren" habe. Womöglich seien gar Provokateure eingeschleust worden, zur "Diskreditierung der nationalen Opposition".
Die NPD als Opfer einer Verschwörung - das ist die bevorzugte Entschuldigungsfloskel, wenn unschöne Ansichten aus ihrem braunen Innenleben nach außen dringen. Und von denen gibt es einige: Mal sind es die seltsamen Ausfälle des glücklosen Hessen-Wahlkämpfers Marcel Wöll, mal die kriminellen Eskapaden seines in Bayern aktiven Gesinnungsfreunds Norman Bordin, der wegen der Erschleichung von Arbeitslosengeld in erster Instanz zu vier Monaten Haft verurteilt wurde und der bereits wegen Körperverletzung strafrechtlich in Erscheinung trat.
Kamerad Wöll, ebenfalls wegen Körperverletzung vorbestraft, wurde erst am 25. Juni wegen Volksverhetzung in zweiter Instanz zu vier Monaten Haft ohne Bewährung verdonnert. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden hat außerdem Anklage gegen ihn erhoben, weil er bei einer Messerstecherei im Taunus im Streit einen anderen Neonazi verletzt haben soll. Zur Volksverhetzung erklärt Wölls Anwalt, dass man erneut in Revision gehen wolle, zu der Messerstecherei möchte er sich derzeit nicht äußern.
Auch die Verurteilung von Spitzenfunktionär Stefan Köster, neuerdings NPD-Bundesschatzmeister und Chef des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern, wegen "gemeinschaftlich begangener, gefährlicher Körperverletzung" taugt nicht wirklich zu Propagandazwecken. Köster hatte mit anderen NPD-Kameraden am Rande einer Demonstration eine junge Frau verprügelt, die bereits am Boden lag.
Selbst gewählte Abgeordnete und ihre Mitarbeiter pflegen mitunter einen seltsamen Umgang mit Recht und Ordnung. Bei Jörg Hähnel etwa, NPD-Bundesvorstandsmitglied und zeitweiliger Mitarbeiter der Schweriner Landtagsfraktion, wurde im Mai 2007 ein Teleskop-Schlagstock entdeckt, als er das Parlamentsgebäude betreten wollte. Und erst vor vier Wochen heuerte die gleiche Landtagsfraktion den Neonazi Lutz G. als Sachbearbeiter an, der mehrfach vorbestraft ist, unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Zuletzt wurde G. vom Amtsgericht Parchim wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, die Bewährungszeit läuft noch bis Oktober 2009.
Wie symbiotisch die Beziehung zwischen Schlägern und Parteifunktionären zuweilen sein kann, zeigen die Ermittlungsakten der Dresdner Staatsanwaltschaft im Fall "Sturm 34".
Es ist ein ziemlich heruntergekommener Bauhof in der Chemnitzer Straße der mittelsächsischen Stadt Mittweida, auf dem die Neonazi-Kameradschaft in der Nacht vom 4. auf den 5. März 2006 ihre Gründung zelebriert. Der Barackenraum ist mit allerlei Fahnen, darunter eine Flagge der in Deutschland verbotenen Skinhead-Bewegung "Blood & Honour" geschmückt, aus den Boxen dröhnt Szenemusik. Das große Wort führte ein damals 19-jähriger Schwabe, der trotz seines jugendlichen Alters schon auf eine beachtliche Karriere im Milieu zurückblicken kann. Im heimischen Ravensburg war er an vorderster Front aktiv bei den "Skinheads Ravensburg Oberschwaben". Der junge Mann, der in der Szene "Stürmer" genannt wird, war außerdem zeitweise Mitglied der NPD - und offenbar nicht der Einzige mit einem Parteibuch aus der rechtsextremen Polit-Truppe.
Auch Tom W., der wenige Wochen später die Führung im "Sturm 34" übernommen haben soll, war in der NPD und verfügte über enge Kontakte zum damaligen NPD-Kreisvorsitzenden. Manche Zeugen im Gerichtsverfahren behaupten sogar, der
NPD-Funktionär hätte W. aufgestachelt. Der Ex-Kreisvorsitzende bestreitet das entschieden, er habe den Kontakt nur gehalten, um "mäßigend" auf die Kameraden einzuwirken. Abgehörte Telefonate wie jenes von 18. Juli 2006, 19.17 Uhr, das der Chemnitzer Staatsschutz bei den Ermittlungen gegen "Sturm 34" mitschnitt, legen allerdings eine andere Deutung nahe.
Für einen Liederabend des rechtsradikalen Volksmusik-Duos Annett und Michael forderte der NPD-Funktionär bei Sturmführer W. "fünf, sechs zuverlässige Leute" für "Objektschutz und Zeug" an. Der NPD-Mann fürchtete, dass "Zecken aufkreuzen" könnten, die man den Konzertbesuchern "vom Hals halten" sollte, "bis die Leute vom Saal runter sind und wir denen richtig vor die Glocke krachen können". W. quittierte die Ansage mit den Worten: "Ja, na klar, kein Ding."
Auch der ehemalige Vize des NPD-Ortsverbands Hainichen nahm die jungen Leute unter seine Fittiche. Der aus Bayern stammende Geschäftsmann stellte als Eigentümer des Mittweidaer Bauhofs das Versammlungslokal für den "Sturm 34" zur Verfügung und half aus, wenn das Geld knapp wurde.
Ein NPD-Aktiver erwies sich allerdings für die Mittweidaer Sturmtruppe als ganz und gar nicht hilfreich. Matthias R, "Sturm 34"-Mann der ersten Stunde, plauderte alsbald Interna beim Chemnitzer Staatsschutz aus - und ließ sich für seine Spitzeltätigkeit auch entlohnen. Mal gab es eine HandyKarte, mal 300 Euro in bar. Im April 2007 wurde "Sturm 34" als verfassungswidrige Organisation verboten.
Die enge Beziehung zwischen NPD-Politik und rechter Gewalt hat in der Gegend Tradition und ist offenbar auch gegen Verbotsverfahren resistent. 80 Kilometer östlich von Mittweida, in der Sächsischen Schweiz, wurde bereits 2001 eine Neonazi-Truppe verboten. Die "SSS" ("Skinheads Sächsische Schweiz") versuchte mit Waffengewalt, die Tourismusregion zwischen Pirna und Bad Schandau zur "National Befreiten Zone" zu säubern. Bei Durchsuchungen stellte das Dresdner Landeskriminalamt unter anderem zwei Kilo Sprengstoff, Granaten, Schusswaffen und scharfe Zünder sicher - und stieß auf eine "enge Verbindung" zur NPD.
Nach Erkenntnissen der Fahnder heuerte der inzwischen verstorbene NPD-Spitzenkader Uwe Leichsenring regelmäßig die paramilitärische Truppe als Personenschützer und Helfer für den Wahlkampf an. Die NPD revanchierte sich jetzt offenbar mit einem ganz speziellen Resozialisierungsprogramm: Zwei ehemalige Rädelsführer der Neonazi-Truppe kandidierten bei der letzten Kreistagswahl für die NPD in der Sächsischen Schweiz. Für ein Mandat reichte es allerdings nicht - es fehlten rund 300 Stimmen.
SVEN RÖBEL, ANDREAS WASSERMANN