Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 25.08.2008

Sächsisches Geheimpapier für niedrigen Lehrlingslohn

Mindestens 80 Prozent vom Tarifgehalt sind Pflicht
 
Dresden. In Sachsens Industrie wächst das Angebot an Lehrstellen in diesem Jahr. Aber einige Unternehmen machen nicht mit. Die Dresdner Druckerei Saxoprint GmbH hat ihre 43 Ausbildungsverträge wieder gekündigt, weil es Streit um die Löhne gab. Ein Manager aus der Metallindustrie berichtete der SZ, er habe seine drei Ausbildungsangebote zurückgezogen.

Nicht die Lehrlinge verlangten mehr Geld – Bewerber wie Markus Mai waren bei Saxoprint mit 400 Euro im Monat einverstanden. Aber die Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden als zuständige Aufsicht wies die Firma auf die Vorschriften hin: Mindestens 80Prozent vom Tariflohn für Lehrlinge sind zu zahlen, also in der Druckindustrie 652 Euro im ersten Jahr.

Lehrlinge können klagen

Nach Ansicht des Dresdner Landtagsabgeordneten Torsten Herbst (FDP) sind die Vorschriften eine Gefahr für den sich belebenden Ausbildungsmarkt. Bisher hätten die Kammern doch die niedrigeren Löhne auch genehmigt, „aber nun ziehen sie die Zügel an“, klagt der Politiker. Der Dresdner IHK-Sprecher Lars Fiehler räumt ein, dass in den vergangenen Jahren niedrigere Löhne akzeptiert wurden.

Wenn ein Unternehmer nach langem Bitten endlich zum Ausbilden bereit gewesen sei, habe die Kammer auch über 75 Prozent vom Tariflohn mit sich reden lassen. „Wir waren in der schlechteren Verhandlungsposition“. Doch inzwischen gebe es weniger Bewerber. „Manche Betriebe werden auf ihren Lehrstellen sitzen bleiben“, sagt der Kammer-Sprecher.

Die neue strengere Linie haben die drei IHK in Sachsen untereinander abgesprochen, sagt Gabriele Hecker, Geschäftsführerin für Bildung in der IHK Südwestsachsen in Chemnitz. Was Hecker allerdings ungern bestätigt: Die Absprache erlaubt immer noch Lehrlingsentgelte unter 80 Prozent.

Nach SZ-Informationen werden Arbeitsverträge mit 70 bis 80 Prozent Tariflohn zumindest „unter Vorbehalt“ akzeptiert, dann folgt ein klärendes Gespräch. Selbst unter 70 Prozent sind noch „Einzelfallentscheidungen“ möglich. Erst bei 60 Prozent vom Tarifgehalt für Lehrlinge ist in jedem Fall Schluss.

Gabriele Hecker bestätigt diese Zahlen nicht: Die Staffelung werde „nicht nach außen kommuniziert“, sagt sie. Bei der IHK zu Leipzig stellt man sich auf dieselbe Frage hin lieber dumm: Lehrlingsvergütungen seien „Angelegenheit der Tarifparteien“, teilt die Pressestelle schriftlich mit. Die Kammer werde sich dazu nicht weiter äußern.

Dabei hat die IHK nach Auffassung des sächsischen Wirtschaftsministeriums keine Nachteile zu befürchten. Als der Abgeordnete Torsten Herbst sich bei der Behörde nach den Genehmigungen der Lehrverträge erkundigte, teilte Minister Thomas Jurk (SPD) schriftlich mit, es gebe „keine weitergehenden Vorschriften zum Umgang mit nicht angemessenen Ausbildungsvergütungen“. Immerhin gelinge es den Kammern „in der überwiegenden Zahl der Fälle“, die ungesetzlichen Verträge nach Gesprächen noch zu korrigieren.

Auch Jurk weiß aber laut seinem Schreiben vom 17. Juli, dass die Kammern „gelegentlich“ Ausbildungsverträge akzeptieren, die „geringfügig“ die Löhne nach den Vorgaben des Berufsbildungsgesetzes unterschreiten. Da gehe es um „unternehmerische Sondersituationen“. Die Firmen würden verpflichtet, den „gesetzmäßigen Zustand“ innerhalb einer bestimmten Frist noch herzustellen.

Was Kammern und Wirtschaftsministerium seit Jahren dulden, kann den Unternehmen nachträglich schaden: Die Lehrlinge können ihren vollen Lohn vor Gericht einklagen. Das komme allerdings selten vor, sagt IHK-Geschäftsführerin Hecker. Außerdem weise die Kammer ihre Mitgliedsunternehmen schriftlich auf diese Gefahr hin.

Ein Vorstandsmitglied eines größeren Dresdner Betriebes der Metallbranche hat dann auch lieber darauf verzichtet, seine geplanten drei Lehrstellen in diesem Jahr zu besetzen. 575 Euro im ersten Lehrjahr seien ihm vorgeschrieben worden. Dabei müsse er sich doch bei den Löhnen für die Arbeiter auch nicht nach Tarifen richten: „Wenn ich mir bei Lehrlingen einen Tariflohn vorschreiben ließe, könnte mich ein Arbeiter fragen: ,Warum verdienen die fast so viel wie ich?‘“
Von Georg Moeritz

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: