Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 15.04.2008

Der Rückzug von Georg Milbradt

Ausstieg mit der Notbremse
 
Er leistete sich folgenreiche Fehler auf dem politischen Parkett und eine höchst unglückliche private Verquickung mit dem Skandal um die SachsenLB: Wie Georg Milbradt am Ende jeden Kredit verspielte.

Nur einer lächelte ganz entspannt, als Georg Milbradt in der sächsischen Staatskanzlei vors Rednerpult trat: Es war sein Vorgänger, Kurt Biedenkopf. Natürlich hatte sich der CDU-Politiker nicht selbst in die sogenannte Englische Bibliothek begeben, um mitzuhören, wie Milbradt an diesem Montag zwischen Büchern, Bildern und einem Schwarm von Presseleuten die vielleicht unangenehmste Erklärung seiner politischen Laufbahn verlas.

Stattdessen schaute Biedenkopfs Foto aus einem Passepartout mit silbrig glänzendem Rahmen von der Wand, als Teil einer fotografischen Ahnengalerie der ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten. Doch ausgerechnet neben das Biedenkopf-Konterfei hatte man den amtierenden Regierungschef postiert, als dieser gegen zwölf Uhr seinen Rücktritt ankündigte. Und so war es Milbradt, dem Nachfolger, nicht einmal in diesem Moment vergönnt, aus dem Schatten seines Vorgängers zu treten.

"Ich habe diese Entscheidung getroffen, weil mir ein geordneter und harmonischer Übergang wichtig ist", las der CDU-Politiker vom Blatt. Er tue diesen Schritt auch, fügte Milbradt in lakonischem Ton hinzu, "um Verletzungen zu vermeiden - bei mir und bei anderen".

Widerstand gegen Milbradts Sturheit

Tatsächlich war das kurze Statement an diesem eleganten Edelstahlpult mit dem Sachsenwappen für Milbradt vermutlich der letzte Augenblick, um noch halbwegs erhobenen Hauptes sein Amt zu verlassen - allzu sehr hatten ihn in den letzten Tagen nicht nur die Politiker aus dem Lager des Koalitionspartners SPD gerupft, auch in der eigenen Partei war er zunehmend auf Unverständnis gestoßen.

Seit fast einem Jahr war es Milbradt nicht gelungen, aus den Negativschlagzeilen herauszukommen: Ob es die unerbittlichen Auseinandersetzungen um die Dresdner Waldschlösschenbrücke waren oder der sogenannte Sachsensumpf, rechtsradikale Übergriffe in der Provinz oder der unaufhaltsame Niedergang der Landesbank SachsenLB - immer wieder geriet Milbradt in die Kritik, immer wieder wurde ihm vor allem auch die Sturheit angekreidet, mit der er seine Ziele verfolgte.

Zwar äußerte sich Milbradts Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten in den vergangenen Monaten niemals öffentlich über seinen Nachfolger. Immer öfter aber pilgerten sächsische CDU-Politiker in den letzten Wochen zu Biedenkopf hin - und sie machten keinen Hehl daraus, was ihnen dort geraten wurde, nämlich einen Schlussstrich zu ziehen.

"Ein hervorragender Fachmann, aber ein miserabler Politiker", hatte Biedenkopf einst spontan im Zorn über den Jüngeren gesagt, als dieser ihn vor Jahren zum Rücktritt aufgefordert hatte. Jetzt sollte sich das harsche Urteil von ehedem noch einmal auf tragische Weise für Milbradt bewahrheiten.

Verpuffte Brachialgewalt

Denn es waren vor allem die folgenreichen Fehler auf dem politischen Parkett, die den Finanzfachmann Milbradt Zug um Zug so sehr in Misskredit gebracht hatten, dass kaum jemand mehr etwas von seinen Leistungen auf dem Gebiet der Spar- und Haushaltspolitik wissen wollte.

So gab es am Ende kein Zurück mehr für den Ministerpräsidenten. "Es war eine solche Gemengelage am Schluss", versuchte der einstige sächsische Innenminister Heinz Eggert am Montag die Situation zu erklären, "dass Milbradt einen politischen Tod auf Raten gestorben wäre, wenn er jetzt nicht die Notbremse gezogen hätte."

Dabei hatte Milbradt noch in der vergangenen Woche versucht, gleichsam mit Brachialgewalt das Steuer herumzureißen. Da stellte der Regierungschef plötzlich von einem Tag auf den anderen dem Koalitionspartner SPD ein Ultimatum: Wenn die Sozialdemokraten nicht dafür sorgten, dass sich alle Abgeordneten dem Ministerpräsidenten gegenüber wohlfeil verhielten, werde die CDU die Koalition aufkündigen, hieß es da.

Auf den ersten Blick sah das Ultimatum nach einem geschickten Schachzug aus - immerhin war es Milbradt damit kurzfristig gelungen, in den Medien von Fragen nach seinen persönlichen Finanzangelegenheiten abzulenken. Doch die Drohgebärde des Ministerpräsidenten wurde zum Bumerang, denn selbst die eigenen Unions-Abgeordneten hielten es offenbar für wichtiger, den Bestand der Koalition aus CDU und SPD zu sichern, als ihrem Ministerpräsidenten unter allen Umständen die Treue zu halten.

Von der SPD erntete er nur Hohn: "Eine Unverschämtheit", hatte etwa SPD-Chef Thomas Jurk das Ultimatum genannt. Die SPD stehe zur Koalition, sie erwarte nur gewisse persönliche Erklärungen vom Ministerpräsidenten.

Ein privates Finanz-Engagement von Milbradt und seiner Frau, mit dem sich das Ehepaar auf höchst unglückliche Art mit dem Skandal um die SachsenLB verquickt hatte, war der Auslöser für die jüngsten Auseinandersetzungen. Im Untersuchungsausschuss des Landtages, der möglichen Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Niedergang der Landesbank nachgeht, war Milbradt letzte Woche auch zu privaten Investitionen befragt worden.

Daraufhin räumte er einen persönlichen Kredit der SachsenLB in Höhe von 50.000 Euro ein, von dem er Anteile an einem Immobilienfonds erwarb, mit dem das Gebäude des Bankhauses seinerzeit finanziert worden war.

Dumm nur, dass der Ministerpräsident nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte: Tage später verkündete seine Staatskanzlei, die Kredite für diverse Fonds beliefen sich auf insgesamt 172.000 Euro, und das Engagement des Ehepaares Milbradt auf etwa 360.000 Euro.

Die Meldung kam abends gegen halb sieben, zu einer für die Medien äußerst ungünstigen Zeit: Mithin war zwar endlich alles gesagt, aber kaum eine Zeitung konnte es mehr angemessen wahrnehmen. Und so glaubte Milbradt, anderntags zum Angriff gegen die Sozialdemokraten blasen zu können - denn es war der schon öfter durch Aufmüpfigkeiten aufgefallene SPD-Abgeordnete Karl Nolle gewesen, der die frechen Fragen im Untersuchungsausschuss gestellt hatte.

Zunächst erschien es so, als würden die CDU-Abgeordneten der Angriffsstrategie der Staatskanzlei folgen. Triumphierend wurde von Milbradts Poltereien am Kabinettstisch berichtet, während der SPD-Chef Jurk nur noch gestammelt habe. Dieser freilich wusste die Berliner SPD-Spitze hinter sich, und er ahnte, dass auch die CDU-Oberen Milbradts letztes Gefecht nicht gerade mit Amüsement verfolgten: Kanzleramtsminister Thomas de Maizière hatte dies offenbar durchblicken lassen, als er Jurk - eine höchst ungewöhnliche Aktion - im Auftrag der Kanzlerin vergangene Woche persönlich anrief, um die sächsische Koalition zu stärken.

Und auch die örtlichen CDU-Abgeordneten verstummten nicht: Nach außen hin leisteten sie Milbradt noch ein letztes Mal die Gefolgschaft, als er auf die SPD einschlug. Hernach jedoch, so verlangten mehrere Parlamentarier ultimativ, "musst du deine eigenen Dinge erklären".

Als am vergangenen Wochenende der Chef der baden-württembergischen Landesbank - neue Eignerin der Sachsenbank - verkündete, das Land Sachsen werde bis zu 1,2 Milliarden Euro für den Niedergang des Bankhauses zahlen müssen, war es wohl endgültig zu viel: Am Sonntagabend traf sich eine kleine Runde von CDU-Politikern, um Milbradt zum Rücktritt zu bewegen und Finanzminister Stanislaw Tillich als Nachfolger vorzuschlagen - und natürlich war Biedenkopf nicht direkt dabei.
Von Christiane Kohl

Karl Nolle im Webseitentest
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