Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 03.11.2008

SPD-NEIN-SAGER: Müntefering lässt Ypsilantis Zukunft offen

Von Severin Weiland und Carsten Volkery
 
Hart geht Parteichef Franz Müntefering mit den vier Nein-Sagern aus Hessen ins Gericht, die in letzter Minute Andrea Ypsilanti die Loyalität versagt haben. Er lobt die Gescheiterte für ihr Verhalten in der Krise. Doch als es um ihre Zukunft geht, wird er einsilbig.

Berlin - Manchmal schlägt die politische Realität Kapriolen. Am Montagmorgen hat Franz Müntefering in der "Bild"-Zeitung in einem längeren Interview noch der hessischen SPD Glück gewünscht. "Ich drücke die Daumen", so der SPD-Chef und versichert, er gehe davon aus, dass Andrea Ypsilanti am Dienstag zur Ministerpräsidentin in Hessen gewählt werde.

Um zehn Uhr vormittags herum erhält Müntefering, wie er selbst später erzählt, "einen Anruf". Von wem, sagt er nicht. Ihm wird mitgeteilt, vier Abgeordnete in der hessischen SPD wollten Ypsilanti am Dienstag nicht zur Ministerpräsidentin wählen. Müntefering telefoniert daraufhin mit ihr, erhält die Bestätigung, dann informiert er das SPD-Präsidium, das turnusgemäß zusammengekommen ist, über die neue Lage. Eigentlich wollte sich das Gremium an diesem Tag unter anderem mit dem Hilfspaket der Bundesregierung in der Finanzkrise beschäftigen. Dort habe die Nachricht aus Hessen eine "Mischung aus Betroffenheit und Empörung" ausgelöst, berichtet Müntefering.

Später sieht man bestürzte Genossen in der hauseigenen Cafeteria. Martin Schulz, der SPD-Europafraktionschef, hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

Wieder einmal hat die SPD sich selbst zerlegt. Vor vierzehn Tagen noch, auf dem Bundesparteitag in Berlin, schien endlich Ruhe in die Partei eingekehrt. Die monatelange Quälerei der Ära Kurt Beck war beendet. Klarheit herrschte - für den Augenblick. Müntefering wurde zum Parteichef gewählt, Frank-Walter Steinmeier zum Spitzenkandidaten im Bundestagswahlkampf 2009.

Hessen, das war aus Sicht Münteferings eine Angelegenheit, die nur noch hinzunehmen war. In den vergangenen Wochen punktete die SPD mit ihrem Krisenmanager Peer Steinbrück in der Finanzkrise. Vor diesem Hintergrund wäre der Parteiführung eine geräuschlose Machtübernahme in Wiesbaden am liebsten gewesen - trotz aller Risiken, die sich daraus für den Bundestagswahlkampf ergeben hätten. Die Angriffe der CDU, die vorhersehbaren Reibereien innerhalb des rot-rot-grünen Projekts, das alles hätte die Bundes-SPD an sich abprallen lassen, so der Plan Münteferings.

An diesem Montag aber wird auch er von Hessen eingeholt - und damit von jenem ungelösten Rechts-Links-Konflikt, der in der hessischen Partei schwelt. Was, fragt er im Willy-Brandt-Haus vor den Journalisten, wohl "in den "Köpfen und Herzen" jener hessischen SPD-Delegierten vor sich gehe, die am Wochenende mit 95 Prozent der rot-grünen Koalition zugestimmt hätten?

Müntefering ist und war kein Freund einer durch die Linkspartei geduldeten Koalition. Doch hier und an diesem Tag lässt er sich nichts anmerken. Müntefering weiß um die Grundstimmung in der Partei. "Das ist schon die Frage, was man davon halten soll, dass da einer sein Gewissen entdeckt wenige Stunden vor der Wahl", sagt er. "Grenzwertig" nennt er die Entscheidung der SPD-Nein-Sager in Hessen - wobei er ausdrücklich aus der Gruppe Dagmar Metzger ausnimmt. Sie hatte schon nach der Wahl deutlich gemacht, eine von der Linkspartei geduldete Koalition nicht mittragen zu können. Man müsse den "Zeitpunkt der Drei" auch unter dem Aspekt der "Verantwortung" diskutieren, sagt er. Er rede "nicht von einem Komplott", sagt er, aber durch deren Entscheidung sei der Führung in Hessen keine "andere Reaktionsmöglichkeit" mehr eröffnet worden.

Der Gesamtchef spricht

Hier spricht der ideelle Gesamtparteichef - das signalisiert Münteferings Auftritt. Für "seine Partei" sei das, was in Hessen gerade geschehe, "nicht gut". "Keine Kleinigkeit", die "ein Stück weit die Partei begleiten" werde. Die Bundes-SPD werde nun versuchen, zu helfen.

Ausdrücklich betont Müntefering, dass es keinen Kontakt von seiner Seite und auch nicht aus dem Brandt-Haus heraus zu den Vier gegeben hat. Vor rund zehn Tagen habe er zuletzt mit Ypsilanti und Hermann Scheer über die Lage in Hessen gesprochen. Da sei man noch zuversichtlich gewesen.

Spätestens seit der Rückkehr Münteferings ins Amt des SPD-Chefs galt Gelassenheit als oberstes Gebot: Jede Aufregung über die eigenwillige Hessin sollte vermieden werden - das führe nur zu negativen Schlagzeilen. Müntefering hatte daher auch gesagt, er würde sich über eine Ministerpräsidentin Ypsilanti freuen, weil er sich immer freue, wenn die SPD irgendwo an die Regierung komme.

Am Montag findet er um so lobendere Worte für Ypsilanti. Für das, was jetzt auf den letzten Metern geschehen sei, könne sie nichts. Sie gehe "sehr rational" mit der Situation um - "wie das Frauen eben können". Ob sie die Nachricht umgehauen habe? Nein, sie sei "eh eine stabile Persönlichkeit", die viel in den vergangenen Wochen und Monaten ausgehalten habe. "Enttäuscht, sauer" beschreibt er ihren Gemützustand. Sie gehe mit der Lage "sehr professionell" um.

Draußen, vor der SPD-Parteizentrale, reagieren Vertreter des linken Flügels enttäuscht auf die Nachricht aus Hessen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der in der Hauptstadt eine rot-rote Koalition anführt, sagt, es sei "ein menschlicher, kein politischer Vorgang". Eine Anspielung auf das zerrüttete Verhältnis von Ypsilanti zu ihrem Parteivize Jürgen Walter, einem der vier Nein-Sager. Die nordrhein-westfälische Landeschefin Hannelore Kraft spricht von einer "menschlichen Frage". Und: "So etwas macht man nicht."

Einer jedoch reagiert wirklich wütend und kann sich kaum zügeln. Es sprudelt nur so aus ihm heraus - Ralf Stegner, SPD-Landes- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein. "Menschlich verwerflich" und "vollständig niederträchtig" nennt er das Verhalten der Vier. Stegner ist auch ein Opfer der Hessen - er will mit linken Themen seinen Landtagswahlkampf bestreiten. Ein geglücktes Experiment in Wiesbaden hätte auch ihm geholfen.

Andere in Berlin wollen sich nur namenlos äußern. "Hier rollen alle nur noch mit den Augen", berichtet ein SPD-Bundestagsabgeordneter. "Ypsilanti hat einen guten Wahlkampf gemacht, aber danach hat sie alles falsch gemacht."

Als entscheidender Fehler dürfte die Berufung Hermann Scheers zum Wirtschaftsminister in die Geschichte eingehen. Diese letzte Demütigung konnte Ypsilantis Rivale Jürgen Walter nicht mehr hinnehmen. Die Berufung des umstrittenen Energieexperten bot Walter hinreichend sachliche Gründe, um sein Nein zu rechtfertigen. Walter habe eine "lange Kette von Demütigungen" hinnehmen müssen, sagt ein Vertreter des rechten SPD-Flügels. Daher sei verständlich, dass er frustriert sei.

Und Ypsilantis Zukunft?

Wie geht es nun weiter? Müntefering rät der SPD in Hessen, sich zunächst einmal zusammenzusetzen. Und er fragt: "Gibt es eine gemeinsame Linie zum Nutzen Hessens?" Dann fügt er mahnend hinzu: "Das Land darf nicht vergessen werden."

Was die politische Glaubwürdigkeit angehe, müsse man nun "aufbauen". Es mache keinen Sinn, "dass da irgendwer wegläuft", raunt er.

Schließlich wird er nach der Zukunft der hessischen Spitzenfrau gefragt. Ob Ypsilanti noch Landesvorsitzende bleiben könne? In diesem Augenblick weichen die kurz zuvor geäußerten lobenden Worte einer auffälligen Einsilbigkeit. Als Landesvorsitzende habe Ypsilanti jetzt "den Prozess zu organisieren, der erforderlich ist".

Ob sie weiter an der oder einer anderen Stelle verantwortlich gestalte, sagt Müntefering, "wird sich in Zukunft entscheiden". Nicht heute.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: