DIE WELT online, 29.11.08, 17:46 Uhr ,, 30.11.2008
Ost-CDU konnte sich dem DDR-Mief nicht entziehen
Kommentar von Thomas Schmidt
Einzelheiten aus dem DDR-Leben der CDU-Ministerpräsidenten Althaus und Tillich sorgen für Wirbel. Die Debatte zeigt: Mit der Vergangenheitsbewältigung der Partei hapert es noch. Zwar zeichnete sich die Ost-CDU einst durch eine gewisse Regimeferne aus. Doch gänzlich außerhalb des Systems stand sie nicht.
Ein Mitläufer war er nicht. Er hat sich dem Regime nicht angepasst, dem einen nicht und dem andern nicht, er hätte es nicht gekonnt. Johannes Bobrowski, 1917 in Tilsit geboren und als Soldat der Deutschen Wehrmacht in Polen, Frankreich und der Sowjetunion, konnte sich 1937 in Berlin nicht zum Studium der Kunstgeschichte immatrikulieren. Der Grund: Er lehnte es ab, der NSDAP beizutreten. Bobrowski hatte an der Schule unter anderem Ernst Wiechert zum Lehrer gehabt, den Schriftsteller also, der das große Erfolgsbuch der Wende nach innen, „Das einfache Leben“ geschrieben hatte – der aber auch das erste literarische Buch über ein KZ, das Konzentrationslager Buchenwald, zu Papier gebracht hatte („Der Totenwald“). Bobrowski war ein gläubiger evangelischer Christ, gehörte der Bekennenden Kirche an und hatte Kontakt zum christlichen Widerstand.
1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, wurde er in Ost-Berlin Lektor, die längste Zeit in dem christlichen Union Verlag, der der Ost-CDU nahe stand und dessen Schriftzug nach viele Jahre nach der Wendung nahe dem Checkpoint Charlie zu lesen gewesen war. Auch in der DDR, der zweiten Diktatur, die er erlebte, blieb er strikt bei seinen Überzeugungen. Als er zu schreiben anfing, konnte er seine beiden ersten Bücher – die Gedichtbände „Sarmatische Zeit“ und „Schattenland Ströme“ – zuerst nur im Westen veröffentlichen. In Gedichten, Erzählungen und Romanen (Levins Mühle“, „Litauische Klaviere“) schrieb er von der Schönheit des verlorenen deutschen Ostens, aber auch von der Barbarei der Nazis.
Einem ganz kurzen Prosatext gab er den Titel „Mein Thema“: „Zu schreiben habe ich begonnen am Ilmensee 1941, über russische Landschaft, aber als Fremder, als Deutscher. Daraus ist ein Thema geworden, ungefähr: die Deutschen und der europäische Osten. Weil ich um die Memel herum aufgewachsen bin, wo Polen, Litauer, Russen, Deutsche miteinander lebten, unter ihnen allen die Judenheit. Eine lange Geschichte aus Unglück und Verschuldung, seit den Tagen des Deutschen Ordens, die meinem Volk zu Buche steht. Wohl nicht zu tilgen und zu sühnen, aber eine Hoffnung wert und einen redlichen Versuch in deutschen Gedichten. Zu Hilfe habe ich einen Zuchtmeister: Klopstock.“
Die Lebensläufe in Diktaturen sind besonders krumm
Indes, er suchte seinen Platz in der DDR, und er fand ihn. Er mochte das Regime nicht, aber er rebellierte nicht, er war kein Dissident, und er nahm ihm offensichtlich so etwas wie guten Willen ab. Davon zeugt etwa eine Rede mit dem Titel „Die Koexistenz und das Gespräch“, die Bobrowoski im Juni 1963, zwei Jahre vor einem frühen Tod, in Weimar auf einer Tagung des Hauptvorstands der CDU mit Kulturschaffenden hielt. Da spricht er eine blasse Funktionärssprache, geht etwas hochnäsig mit den westdeutschen Schriftstellerkollegen um, um die es sich zu bemühen gelte, und sagt, er habe oft erlebt, dass es für Gesprächspartner eindrucksvoll ist, „wenn ein Nichtmarxist sich zu Gestalt und Zukunft der sozialistischen Gesellschaft bekennt.“ Da ist nichts mehr zu spüren von dem feinen Beobachter kleinster Details. Und man mag sich gar nicht vorstellen, wie es Tag um Tag im Verlagshaus, in dem er arbeitete, auf den Gängen, in der Kantine oder gar auf Versammlungen zugegangen sein mag.
Auch dieses Bespiel eines durch und durch Lauteren zeigt: In Diktaturen sind die Lebensläufe noch krummer, als sie ohnehin schon verlaufen. Dieser Einsicht ist die Christlich Demokratische Union eine Weile lang aus dem Weg gegangen. Als die DDR im Verschwinden und als sie dann verschwunden war, tat sie ein wenig so, als sei sie nur die Partei Adenauers und des Antikommunismus gewesen. Und weil Konservative zuweilen dazu neigen, Sünden nicht anzuklagen, sondern zur Kenntnis zu nehmen, neigte die CDU dazu, sich mit der Vergangenheit der gleichnamigen Ostpartei nicht allzu sehr auseinanderzusetzen.
So hart und unversöhnlich die CDU mit der SED und deren Nachfolgepartei PDS umging, so milde blickte sie auf die Geschichte der Blockpartei CDU. Das fiel ihr auch deswegen leicht, weil die Ost-CDU ja wirklich nur ein kleines Rad am Wagen der SED gewesen war und sie für viele – die mit gutem Recht Karriere machen wollten – eine Möglichkeit war, halbwegs anständig über die Runden zu kommen. Diese CDU war ein kleineres Übel gewesen.
Das System ablehnen - und doch vorankommen wollen
Auf ihrem Stuttgarter Bundesparteitag, der am Sonntagabend offiziell beginnt, will sich die Partei auch mit dieser Vergangenheit befassen. Ursprünglich sollte dabei das Selbstlob eine beträchtliche Rolle spielen: hier die saubere CDU – dort die unsaubere Linkspartei und die ihr längst verfallende SPD. Doch so einfach sollte es sich die CDU nicht machen. Jüngst wurden Einzelheiten aus dem DDR-Leben zweiter jetziger Ost-Ministerpräsidenten bekannt, die nicht besonders rühmlich klingen. Dieter Althaus, Thüringens Regierungschef, hat ausgerechnet am Tag des Mauerfalls, am 9. November 1989, geschrieben, die Jugendweihe müsse „wieder den Inhalt einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung“ haben (und deswegen aber außerhalb der Schule stattfinden). Und Sachsen Ministerpräsident Stanislaw Tillich hatte, ebenfalls im Jahr des Mauerfalls, eine Eliteschule für Führungskräfte und Nachwuchskader besucht.
Aus beidem kann man den Betroffenen heute keinen Strick drehen. Es war etwas ganz Alltägliches in der DDR: Sehr viele lehnten das Regime, seine Enge, seine Dummheit, seine Stickluft, seine Spitzelei und die stets dahinter lauernde brutale Gewalt ab – und wollten doch vorankommen, so etwas wie kleine Karrieren machen, es zu etwas bringen. Für solche Menschen war die CDU ein guter Ort. Hier konnte man sich gewissermaßen im Halbdunkel bewegen.
Sachsen Thüringen DDR Stanislaw Tillich Dieter Althaus Berlin CDU SED Linke PDS SPD Das alles mag, wie Sachsen-Anhalts weiser Regierungschef Wolfgang Böhmer sagt, „kein Ruhmesblatt gewesen sein“. Nein, das war es nicht. Und war doch längst nicht so schlimm wie die vollmundige Mitgliedschaft in der „Partei der Arbeiterklasse“, die keine Selbstzweifel kannte. Aber es bleibt eben auch eine Wahrheit: Es gab kein unbeschädigtes Leben in der DDR, und wer in den stilleren Winkel der CDU floh, der wurde den Mief dieses Staates auch nicht los. Diese Misere trägt die Bundes-CDU mit sich herum. Wenn sie nun über ihre DDR-Vergangenheit redet, täte sie gut daran, das mit jener christlichen Demut zu tun, von der leicht zu reden ist, die aber schwer zu praktizieren ist. Doch vermutlich ist die Partei der Kanzlerin, die aus dem Osten kam, inzwischen viel zu pragmatisch, sich solcher Mühe auszusetzen.