Welt-Online, 02.12.2008
Fall Tillich & Co.: Die Wahrheit über die DDR-Blockparteien
Wer die DDR-Vergangenheit richtig aufarbeiten will, muss den Unterschied zwischen der SED und den anderen DDR-Parteien kennen. Blockparteien wie die CDU dienten vor allem einem Zweck: Sie sollten den totalitären Herrschaftsanspruch der SED kaschieren.
Wer in der DDR im Staatsapparat Karriere machen wollte, hatte zumeist nur zwei Möglichkeiten: Entweder er ging in die SED, oder er wurde Mitglied in einer Blockpartei wie der CDU, was seine Aufstiegsmöglichkeiten begrenzte. Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich und andere ehemalige CDU-Mitglieder entschieden sich nicht zuletzt mit Blick auf ihre kirchlichen Bindungen gegen die SED, wollten gleichwohl nicht auf eine Tätigkeit im Staatsapparat verzichten. Sie mussten sich dem politischen und ideologischen Primat der SED unterwerfen, waren durch ihre Arbeit faktisch Erfüllungsgehilfen der SED.
Die Funktion, die Tillich in der DDR-Kommunalverwaltung einnahm, wäre ob ihrer Subalternität nicht erwähnenswert, wenn er in seiner offiziellen Biografie nicht einige hiermit verbundene Details verschwiegen hätte. So zum Beispiel einen gut zweimonatigen Lehrgang an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften, die nicht nur Staats- und Parteifunktionäre aus- und weiterbildete, sondern eine zentrale Institution zur Rechtfertigung der SED-Diktatur war. Wohl aus diesem Grund hat Tillich seinen Lehrgang verschwiegen. Doch nicht die einfachen Teilnehmer an Lehrgängen sind das Problem, sondern diejenigen, die die politischen und ideologischen Leitlinien vorgaben und jetzt aus dem Dunkeln Tillich und andere abzuschießen versuchen.
Der eloquent auftretende sächsische Ministerpräsident hat sich und seiner Partei keinen Gefallen getan, ihm heute nicht mehr so angenehme Seiten seiner DDR-Vergangenheit zu verschweigen. Jetzt nutzen diejenigen, die in der DDR das Sagen hatten, seine Verdrängung zur Rechtfertigung ihrer eigenen weitaus belasteteren Biografie.
Selbst mit dem Verschweigen von Details der Vergangenheit steht Tillich nicht alleine. Welcher frühere Maoist und spätere Minister der Grünen oder der SPD hat je in seiner offiziellen Biografie über von ihm besuchte ML-Schulungen und Teilnahmen an gewalttätigen Demonstrationen berichtet? Das wird nicht kritisiert, zumal ihre Parteien diese Vergangenheit lieber ausblenden. Doch Tillich gehört der CDU im wiedervereinigten Deutschland an, die sich lautstark für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und die Abgrenzung von den SED-Nachfolgern einsetzt und dabei manchmal ihre eigene DDR-Vergangenheit vergisst. Hierzu besteht freilich kein Anlass.
Die DDR war in ihrer politischen und ideologischen Gestalt der Staat der SED. Diese Partei und ihr Apparat bestimmten nahezu alles. So waren zum Beispiel die jeweiligen SED-Kreisleitungen den Kommunalverwaltungen übergeordnet, das heißt, der starke Mann im Kreis war nicht der Vorsitzende des Rates, sondern der Erste Sekretär der Kreisleitung. Gleiches gilt für alle staatlichen Einrichtungen und Massenorganisationen – fast immer stand ein SED-Kader an der Spitze.
Die sogenannten Blockparteien wie die CDU waren weder programmatisch noch finanziell unabhängig und wurden von der SED durch ihre Abteilung „Befreundete Parteien“ angeleitet. Keine Führungsfunktion in der CDU konnte ohne positives Votum der SED besetzt werden. Die seitens der SED den Blockparteien zugedachte Rolle bestand darin, Bevölkerungsschichten zu erfassen und politisch zu kontrollieren, die sich ihrem direkten Einfluss entzogen. Hierbei handelte es sich um Gewerbetreibende, freiberuflich Tätige, selbstständige Handwerker, Teile der Intelligenz, aber auch um kirchliche Kreise. Die vom SED-Parteiapparat gesteuerten und kontrollierten Blockparteien dienten nicht der Begrenzung, sondern der Kaschierung des totalitären Herrschaftsanspruches der SED. Sie waren Komparsen in dem von ihr inszenierten politischen und sozialen System der DDR.
Wer die DDR-Vergangenheit redlich aufarbeiten will, muss die fundamentale Differenz zwischen der SED und den anderen Parteien berücksichtigen. Es verbietet sich, pauschal von ostdeutschen Biografien zu reden und damit zu suggerieren, alle Ostdeutschen teilten die gleiche Vergangenheit. Nein: Die einen waren stärker, die anderen schwächer und wieder andere überhaupt nicht in die unheilvollen Dimensionen des Systems verstrickt. Dies herauszuarbeiten und den individuellen Biografien gerecht zu werden muss Aufgabe der wissenschaftlichen und politischen Aufklärung über die sozialistische Diktatur in der DDR sein.
Wenn es die CDU auf ihrem heutigen Bundesparteitag nicht schafft, sich intensiver und wahrhaftiger als bisher der Aufarbeitung der DDR zu stellen, wäre die Chance vertan, aus den dunklen Seiten dieser Diktatur zu lernen. Die mehr oder weniger versteckten Sympathisanten der untergegangenen DDR aus Ost und West würden jubilieren, wenn nun die CDU aus Angst vor ihrer eigenen Vergangenheit auf eine weitere intensivere Beschäftigung mit dem SED-Staat verzichten würde.
Von Klaus Schroeder
(Der Autor leitet den Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin.)