Süddeutsche Zeitung online, vom 2.12.08, 07.12.2008
Die Justiz und die Finanzkrise: Straftat Geldverbrennung
Alle Welt redet von der Finanzkrise, von der Bankenkrise und von der Wirtschaftskrise. Von der Krise des Strafrechts redet noch niemand.
Das könnte sich schnell ändern, wenn die Staatsanwaltschaften dabei scheitern, die Machenschaften von Bankmanagern, das Aufsichtsversagen von Verwaltungs- und Aufsichtsräten und die dabei verursachten Milliardenschäden nachvollziehbar zu bewerten.
Was bedeutet das - "nachvollziehbar bewerten"? Die Staatsanwaltschaften müssen klären und erkären, ob und wie das Strafrecht in diesen Fällen greift. Wenn es nicht greift, muss plausibel erklärt werden, warum nicht.
Aufgabe des Strafrechts ist der Schutz des Zusammenlebens der Menschen; das Strafrecht ist eine Schutz- und Friedensordnung. Kaum etwas anderes aber hat in jüngerer Zeit den inneren Frieden der Gesellschaft so zerrüttet wie die Finanzkatastrophe.
Die Milliardengelder der Steuerzahler, die der Staat nun zur Rettung der Banken einsetzt, fehlen womöglich in den nächsten Jahren, um Bildung und Sicherheit zu finanzieren.
"Da ist derzeit keine Antwort möglich"
Muss der bayerische Staat wegen der Lasten, die er für die Bayerische Landesbank schultern muss, demnächst bei den Schulen oder bei der Polizei sparen? Der bayerische Finanzminister hat soeben auf diese Frage so geantwortet: "Da ist derzeit keine Antwort möglich." Das Risiko ist jedenfalls hoch.
Die Bankmanager und jene, die sie nicht ausreichend beaufsichtigten, haben Geld verbrannt - so viel Geld, dass darunter die soziale und die innere Sicherheit leiden wird.
Nun folgt aus den ungeheuer großen finanziellen Schäden noch nicht per se, dass hier Straftaten vorliegen. Die Größe eines Schadens indiziert nicht automatisch, dass der Schaden durch eine Straftat verursacht worden ist. Aber die Größe eines Schadens bedeutet auch nicht automatisch, dass Straftaten auszuschließen sind.
Die Strafjustiz wird den Verdacht ausräumen müssen, dass sie vor der Größe der finanziellen Katastrophe kapituliert. Sie wird den Verdacht entkräften müssen, dass ihre Mittel und Möglichkeiten in dem Maß abnehmen, in dem mehr Nullen an einer Schadenssumme hängen.
Es gibt den Straftatbestand der Untreue. Die Vorschrift bestraft den Missbrauch der Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen. Sie bestraft die Verletzung der Pflicht, fremde Vermögensinteressen ordentlich wahrzunehmen. Es handelt sich um die schwierigste Vorschrift, die das Strafrecht kennt. Es könnte gut sein, dass sich im Zuge der Ermittlungen zu den Finanzkatastrophen zeigt, dass sie nicht vernünftig anwendbar ist. Dann ist es Aufgabe des Gesetzgebers, sie anwendbar und praktikabel zu machen. Auch das könnte eine gute Folge des Milliardendesasters sein.
Mit der gewaltigen Finanzkrise geht eine Vertrauenskrise einher, sie betrifft die Glaubwürdigkeit des wirtschaftlichen Systems und die Handlungsfähigkeit des Staates. Die Vertrauenskrise wird das Strafrecht erfassen, wenn dieses Strafrecht nicht plausibel reagiert.
Sicherlich: Es gibt immer eine Distanz zwischen der Juristerei und dem, was man natürliches Rechtsempfinden nennt. Dazwischen liegen oft viele Regalmeter voll mit Gerichtsurteilen, Kommentarwerken und Lehrbüchern. Aber: Diese Distanz darf nicht zu gewaltig werden - sonst geht die Aktzeptanz des Rechts kaputt. Bei den notwendigen Ermittlungen zum Banken- und Finanzdesaster geht es also um die Zukunft des Strafrechts: Ist es ein Recht für und gegen alle? Oder ist es ein Recht nur gegen die Unter- und Mittelklasse? Ein Recht, das sich in der gesellschaftlichen Stratosphäre auflöst, verdient diesen Namen nicht.
Ein Kommentar von Heribert Prantl
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