Welt-online, 15:45 Uhr, 07.12.2008
DDR-Vergangenheit: Ex-Blockflöte Tillich flunkerte das EU-Parlament an
Es wird immer enger für den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich: Nach Informationen von WELT ONLINE hat Tillich, der wegen lückenhafter Angaben über seine DDR-Vergangenheit in der Kritik steht, auch als Europa-Abgeordneter gezielt eine fehlerhafte Biografie eingereicht.
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat als Europa-Abgeordneter von 1994 bis 1999 dem Brüsseler Parlament eine Biografie mit mehreren wahrheitswidrigen Passagen vorgelegt. Mit dem manipulierten Lebenslauf, abgedruckt im Handbuch "Europäisches Parlament“, wollte er offenbar gezielt seinen Werdegang als Staatsfunktionär in der DDR verschleiern.
Wegen des Umgangs mit seiner Vergangenheit als "Blockflöte“ in der SED-hörigen Ost-CDU steht Tillich seit zwei Wochen in der Kritik. Dabei stellte sich heraus, dass bereits seine Vita als Mitglied der letzten DDR-Volkskammer fehlerhaft war. Seine Biografie als Europa-Abgeordneter schreibt die unvollständigen und unzutreffenden Angaben fort und ist darüber hinaus mit zusätzlichen Falschinformationen gespickt.
Nach der Wiedervereinigung wurde Tillich von Sachsen als Beobachter in das Brüsseler Parlament entsendet, dessen ordentliches Mitglied er nach der Europa-Wahl im Juni 1994 wurde. Mit diesem Karriereschritt tilgte der Christdemokrat kompromittierende Details aus seiner offiziellen Biografie. Kurzerhand verlegte er beispielsweise seine Funktion als Mitglied des CDU-Kreisvorstandes Kamenz in das Revolutionsjahr 1989. Seine Einbindung in das scheindemokratische Parteiengefüge des SED-Staats erschien damit weniger anrüchig. Im „Handbuch der Volkskammer“ hieß es noch: „Seit 1988 CDU-Kreisvorstand Kamenz“. Diese Version entspricht nach Auskunft ehemaliger Parteifreunde der Wahrheit.
Ebenfalls unzutreffend ist die Darstellung des früheren Europa-Parlamentariers, wonach er „seit 1989 selbstständiger mittelständischer Unternehmer“ war. Damit erweckte Tillich den Eindruck, er habe sich unmittelbar nach dem politischen Umbruch in der DDR beruflich neu orientiert. Laut Handelsregister ist er aber erst später Chef seiner Clauß und Tillich GmbH mit Sitz in Kamenz geworden. Gegenüber der Volkskammer hatte er das auch selbst noch so dargestellt: „Seit Mai 1990 Inhaber einer Firma für Konstruktionsbau.“
Um die Legende des früh gestarteten Unternehmers glaubhaft erscheinen zu lassen, verkürzte Tillich in der Brüsseler Biografie seine Zeit als Funktionär des DDR-Staatsapparats auf die Jahre von 1987 bis 1989. Richtig ist, dass er die Stellung erst im Frühjahr 1990 verlor. Wie die Volkskammer führte Tillich dabei auch das Europäische Parlament mit der Berufsbezeichnung „Angestellter der Kreisverwaltung Kamenz“ in die Irre. Als Stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises, zuständig für Handel und Versorgung, übte er eine politische Wahlfunktion aus und war Nomenklaturkader.
Abgeordnete sind für Angaben in ihrer Biografie verantwortlich. Angesichts der geschönten Präsentation seiner DDR-Karriere sind Zweifel laut geworden, ob Tillich 1999 bei seinem Eintritt in die Sächsische Staatsregierung als Europa-Minister die obligatorische Erklärung zum Lebenslauf wahrheitsgemäß ausgefüllt hat. Wegen unvollständiger oder unwahrer Angaben hat Sachsen mehreren Hundert Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst fristlos gekündigt.
Tillich hätte damals über beruflich bedingte Stasi-Kontakte, Funktionen in der DDR-CDU und damit verbundene Mandate sowie über den Besuch von weiterbildenden Lehrgängen Auskunft geben müssen. Fraglich ist unter anderem, ob er eine ideologische Schulung, die er von Januar bis März 1989 an der Potsdamer Akademie für Staat und Recht absolvierte, in der Erklärung angegeben hat.
Bislang weigert sich der Regierungschef, den Ministerfragebogen vorzulegen. Seine Staatskanzlei behauptet, alle Fragen seien „vollständig und zutreffend“ beantwortet. Die sächsische Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau hat vorgeschlagen, die Angaben durch die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes überprüfen zu lassen. So bleibe einerseits die Vertraulichkeit gewahrt, andererseits erhalte die Öffentlichkeit Klarheit.
Im Sommer 2009 muss Tillich einen Landtagswahlkampf bestreiten. Seine biografischen Manipulationen könnten sich dann als Hypothek erweisen. In den neunziger Jahren führte er nicht nur zwei Parlamente hinters Licht, sondern verstieß auch gegen den Geist eines Parteitagsbeschlusses. Im Oktober 1991 verabschiedete die Sächsische Union den Leitantrag „Erneuerung der CDU in Sachsen“. Darin heißt es: „Wer öffentliche Verantwortung übernimmt, muss bereit sein, über sein Verhalten in der Vergangenheit Rechenschaft abzulegen. Das frühere gesellschaftliche Engagement von Mitgliedern der CDU soll daher nicht verschwiegen werden.“
Von Uwe Müller