DNN/LVZ, 18.12.2008
Aktenaffäre – Kronzeuge geht in die Offensive
Auftritt im Untersuchungsausschuss
Dresden. Eine der Schlüsselfiguren in der Affäre um Geheimakten des Verfassungsschutzes geht in die Offensive. Georg Wehling, der ehemalige Ermittler der Leipziger Polizei im Bereich Organisierte Kriminalität (OK), bestreitet erstmals offiziell, die geheime Hauptquelle des Nachrichtendienstes gewesen zu sein. Damit durchkreuzt der 52-Jährige die Version der Regierung, die Affäre fuße auf von ihm manipulierten Fakten.
Nach Aussage von Wehling hat das erste inhaltliche Treffen mit zwei Mitarbeitern des mittlerweile aufgelösten OK-Referats beim Verfassungsschutz am 24. Mai 2006 und damit eine Woche vor der Einstellung der OK-Arbeit stattgefunden. Der Vorwurf, er habe als Geheimquelle Gemag bereits früher regelmäßig Kontakt mit dem Geheimdienst gehabt, „ist vollkommen falsch“, sagte der 52-Jährige gestern als Zeuge vor dem U-Ausschuss im Landtag. „Bei Gemag handelt es sich um eine Person, die hervorragende Kontakte in Wirtschaft und Politik hat“, meinte Wehling – also nicht um ihn. Denn er verfüge nicht über solche Kontakte.
Laut Wehling sei ihm bei dem fünfstündigen Treffen im Mai 2006 von den Verfassungsschützern ein detaillierter Fragenkatalog „mit Erkenntnissen aus dem Nahbereich der OK“ vorgelegt worden. Diese Details basierten eindeutig auf Hinweisen weiteren Informanten. Dies gehe auch aus Akten hervor, die ihm mittlerweile von der Staatsanwaltschaft Dresden zur Verfügung gestellt worden seien.
Diese Version deckt sich mit Aussagen aus Ermittlerkreisen in Dresden. Nach Recherchen dieser Zeitung firmiert Wehling zwar in den Akten auch als Gemag und hat als halboffizielle Auskunftsperson bereits bekannte Vorgänge später bestätigt. Die ersten Informationen zum Leipziger OK-Komplex aber stammen offenbar von einem klassischen V-Mann – einem mit dem Codenamen Jaguar.
Politisch brisant wird dies durch die Tatsache, dass die Staatsregierung bei der Abmoderation der Affäre zwei Schuldige ausgemacht hat: Die ehemalige Leiterin des OK-Referats beim Verfassungsschutz, Simone Henneck, sowie Wehling. Die eine habe die Akten aufgebauscht, der andere habe gleich zweifach als Informant gedient – offiziell, als Polizist, und intern, als V-Mann. Das sei, meinten Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos sowie der damalige Innenstaatssekretär Klaus Fleischmann im Sommer 2007, wie bei einem Teebeutel, den man doppelt gebrauche – und so tue, als seien es zwei frische.
Diese „Teebeutel-Pressekonferenz“ ist im Umgang mit der Affäre die zentrale Stelle. Denn seitdem gilt die Version von Boos und Fleischmann als offizielle Lesart. Tenor: Die Fakten seien „manipuliert“, die Quellen „vergiftet“, die Affäre sei keine. Diese Version ist zwar nach der Aussage von Wehling gestern nicht vollends widerlegt, aber an einem Punkt – der Quelle Gemag – fraglich. Denn klar ist: Wehling dürfte kaum riskiert haben, gestern als Zeuge die Unwahrheit zu sagen. Schließlich drohen darauf laut Strafgesetzbuch (Paragraf 153) bis zu fünf Jahre Gefängnis. Offen ist die Rolle von Henneck, deren Vernehmung in Kürze ansteht. Möglich ist, dass diese Wehling ohne dessen Wissen in früheren Jahren als Teil des Fallkomplexes Gemag geführt hat – was kein besonders gutes Licht auf die Arbeit des Verfassungsschutzes werfen würde.
Von JÜRGEN KOCHINKE