Agenturen, ddp-lsc, 11:45 Uhr, 15.02.2009
Dresden wehrt sich gegen Rechts
Tausende demonstrieren zum Jahrestag der Luftangriffe gegen Aufmarsch von 6000 Neonazis
Dresden (ddp-lsc). Zum Jahrestag der Bombardierung im Februar 1945 haben am Samstag in Dresden Tausende Menschen gegen die Vereinnahmung des Gedenkens durch Rechtsextremisten demonstriert. An dem vom Bündnis «Geh Denken» organisierten Sternmarsch zum Theaterplatz nahmen nach Angaben der Veranstalter etwa 12 500 Menschen teil. Die Polizei sprach von 6500 Teilnehmern. Zu der Demonstration hatten Politiker, Gewerkschaften, Kirchen und Vereine in diesem Jahr erstmals bundesweit aufgerufen.
Zeitgleich hatten sich nach Polizeiangaben rund 6000 Rechtsextremisten zu ihrem bislang größten sogenannten Trauermarsch in der sächsischen Landeshauptstadt versammelt. Zuletzt hatte die rechtsextreme Szene zum 60. Jahrestag der Bombardierung vor vier Jahren in Dresden mit 5000 Neonazis in ähnlicher Größenordnung mobilisiert. Das Bündnis «Geh Denken» hatte bereits zuvor vor «Europas größtem Neonazi-Aufmarsch» gewarnt.
Die Polizei war mit einem Großaufgebot von 4300 Kräften aus mehreren Bundesländern im Einsatz, um die verschiedenen Aufzüge strikt zu trennen und Auseinandersetzungen zu verhindern. Bei Kontrollen des Neonazi-Aufzuges der «Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland» (JLO) wurden laut Polizei 35 Personen in Gewahrsam genommen, die unter anderem Quarzsandhandschuhe, Pyrotechnik, einen Hammer und eine Heckenschere bei sich hatten.
Das Antifa-Bündnis «No pasarán» («Sie werden nicht durchkommen») zog derweil mit 3500 Unterstützern durch die Innenstadt, darunter nach Einschätzung der Polizei 1500 gewaltbereite Teilnehmer. 500 davon waren laut Polizei im Tagesverlauf auch «massiv gewalttätig». Es kam zu Rangeleien und Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Einige Demonstranten versuchten Absperrungen zu durchbrechen. Zwei Polizeiautos wurden umgeworfen. Zudem seien Einsatzkräfte mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Eine von rund 500 schwarz gekleideten Personen blockierte Kreuzung musste geräumt werden. 30 Beamte wurden leicht verletzt, mindestens 18 Einsatzfahrzeuge beschädigt.
Insgesamt wurden 86 Personen in polizeiliches Gewahrsam genommen und drei vorläufig festgenommen. Die Mehrheit dieser Personen habe gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, weil sie vermummt waren oder «Passivbewaffnung» bei sich hatten, hieß es. Insgesamt zog die Polizei jedoch eine positive Bilanz und zeigte sich zufrieden mit dem Einsatzverlauf.
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), sagte, «Rechte haben auf Dresdens Straßen nichts zu suchen». Man dürfe nicht «hinter den Gardinen sitzen bleiben» und nur still gedenken, sondern müsse auch Gesicht zeigen, forderte er. Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sagte auf der Abschlusskundgebung vor der Semperoper, «die braune Soße» dürfe in Deutschland «nie wieder eine Chance haben». Zugleich appellierte er an die Bürger, ihre Chance zu nutzen, die rechtsextreme NPD am 30. August aus dem sächsischen Landtag zu wählen.
Linke-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi forderte: «Den Neonazis müssen wir Paroli bieten.» Gysi fügte hinzu: «Die militante und aggressive NPD gehört endgültig verboten». DGB-Chef Michael Sommer sagte, «auch wir gedenken der Opfer der Bombardierung und trauern um die Toten.» Doch diese Trauer dürfte nicht mit den Neonazis geteilt werden. Es dürfe nie vergessen werden, dass die Nationalsozialisten die Schuld an diesem Krieg gehabt hätten. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte: «Wir geben die Straßen und Plätze in Dresden nicht frei für Rechtsextremisten.»
Den Auftakt der Protestaktionen gegen Rechtsextremismus bildete am Samstagmorgen ein öffentlicher Schabbatgottesdienst in der Dresdner Synagoge, an dem rund 500 Menschen teilnahmen. Zudem begleiteten mehrere Hundert Dresdner die Gedenkveranstaltung an einer neuen Erinnerungsstätte auf dem Altmarkt. Auf dem Platz, wo damals nach den alliierten Bombenangriffen Tausende Opfer eingeäschert worden waren, wird künftig eine Gedenktafel an die Ereignisse vom Februar 1945 erinnern.
Bei der Bombardierung im Februar 1945 waren nach den Ergebnissen einer von der Stadt eingesetzten Historikerkommission bis zu 25 000 Menschen ums Leben gekommen. Durch insgesamt vier Luftangriffe wurde das Stadtzentrum damals innerhalb von drei Tagen fast vollständig zerstört.
(Quellen: Polizei auf Anfrage und in Mitteilung, alle anderen auf Kundgebungen)
Von Romy Richter
ddp/ror/stu
151145 Feb 09